Erdrutschsieg für Narendra Modi und seine Hindu-Partei bei Parlamentswahl. Er gilt bei vielen als hartherziger Fanatiker, versprach aber Wachstum

Singapur/Neu-Delhi. „Indien hat gewonnen“, twitterte Noch-Oppositionsführer Narendra Modi, schon bevor die letzten Stimmen der gigantischen Parlamentswahl ausgezählt waren, „Gute Zeiten liegen vor uns!“ Modi ist der strahlende Sieger: Seine hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) und deren Verbündete haben eine überragende Mehrheit errungen. Damit wird Modi der neue Mann an der Spitze des Subkontinents. Seit drei Jahrzehnten war keiner Partei in Indien mehr ein solcher Erdrutschsieg oder auch nur eine simple Mehrheit gelungen.

Fünf Wochen Mammutwahl, gestaffelt in den weit voneinander entfernten Regionen des riesigen Landes mit seinen 814 Millionen Wahlberechtigten, sind vorbei. Am Freitag wurden die 550 Millionen abgegebenen Stimmen ausgezählt und das Endergebnis verkündet: Modis Nationale Demokratische Allianz (NDA), eine 28-Parteien-Koalition, hat mit mehr als 280 Parlamentssitzen eine absolute Mehrheit errungen. Die Kongress-Partei, die Partei des Nehru-Gandhi-Clans, die Indiens Politik fast durchgängig seit seiner Unabhängigkeit dominiert hat, musste massive Verluste hinnehmen. Sie verlor über 150 Sitze.

543 Sitze galt es im Unterhaus des indischen Parlaments zu besetzen, 272 Sitze wären für eine schlichte Mehrheit nötig gewesen. Die hat die BJP nun deutlich überboten. Mit seiner absoluten Mehrheit hat Modi nun Sitze genug, um sich nicht auf uneinige und bremsende Bündnisse einlassen zu müssen. Er kann eine starke, stabile Regierung bilden und die Ärmel hochkrempeln. Und so verkündet die siegreiche Partei nun „den Beginn einer neuen Ära“.

Das Wahlergebnis ist ein herber Tiefschlag für die bisher regierende Kongresspartei. Noch während die letzten Stimmen gezählt wurden, räumte sie ihre Wahlschlappe ein. „Wir akzeptieren die Niederlage. Wir sind bereit, in der Opposition zu sitzen“, erklärte Parteisprecher Rajeev Shukla. „Modi hat den Menschen den Mond und die Sterne versprochen. Die Leute haben ihm diesen Traum abgekauft.“ Rahul Gandhi, der jüngste Spross des mächtigen Familienclans und Kongress-Vizepräsident, nahm die Verantwortung für die Stimmenverluste auf sich. Der schüchterne 43-Jährige sollte den Wählern als junger Führer präsentiert werden, der Indiens Wirtschaft frischen Wind einhaucht. Doch die Rechnung ging nicht auf: Allzu viele sehen in ihm nichts weiter als einen privilegierten Sohn aus reichem Hause, der keinen Draht zur Bevölkerung hat.

Während die einen ihre Wunden leckten, begannen die anderen bereits ihre Siegesfeiern. Schon lange vor der Verkündung der Endergebnisse, als sich der Erdrutschsieg der BJP abzuzeichnen begann, zogen trommelnde Jubelgruppen mit safranfarbenen Bannern durch die Straßen – der Farbe der Hindu-Nationalisten. Feuerwerkskörper wurden verteilt und neue Poster mit Narendras lächelndem Konterfei aufgehängt. Die BJP hatte vorgesorgt, um ihren Sieg gebührend zu zelebrieren.

Indien kann eine große Feier gebrauchen. Korruption und Stagnation haben die Menschen ausgelaugt. Die Kongresspartei hatte einfach keinen Fortschritt gebracht, das Land kam nicht voran. Die Inder waren es leid, und sie folgten mit fliegenden Fahnen den dröhnenden Versprechen Modis. Versprechen von Wandel, Wachstum und Bewegung. Die Hoffnung auf Arbeitsplätze ließ die stahlharte hindunationalistische Vergangenheit Modis verblassen. Die Flecken auf seiner Weste wurden ausgeblendet, die Wähler wollen nach vorn blicken.

Modi ist es gelungen, diesen Fortschritt zu verkörpern. Der 63-Jährige polarisiert. Er ist gleichermaßen beliebt wie verhasst, doch er garantiert eines: Veränderung. Dreimal in Folge war der Junggeselle zum Chefminister im Bundesstaat Gujarat gewählt worden. Der Sohn eines armen Teeverkäufers aus Vadnagar war schon als Schuljunge der radikal hinduistischen Organisation Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) beigetreten – dem militanten Flügel der BJP.

Die radikale Gesinnung des RSS prägte viele Entscheidungen in seiner politischen Karriere – und sie sorgte für die Risse in seinem Image. Als sich Hindus und Muslime vor zwölf Jahren in seinem Heimat-Bundesstaat blutige religiöse Ausschreitungen lieferten, soll Modi den Hass noch angestachelt haben. Und dann unternahm er nichts, um das Morden und den Rausch der Gewalt zu stoppen. Am Ende waren 1000 Menschen tot, die meisten von ihnen Muslime. Die Anklage wurde später zwar von einem Komitee des Obersten Gerichtshofs aus Mangel an Beweisen abgewiesen, doch Modis Ruf als hartherziger Fanatiker bleiben bei vielen lebendig. Seine Gegner nennen ihn den „Teufel“ und den „Metzger von Gujarat“.

Inzwischen hat das Ausland seine kritische Einstellung gegenüber dem umstrittenen Politiker ein wenig aufgeweicht. Europa und die USA hatten Modi über ein Jahrzehnt wegen der Gewalt in Gujarat boykottiert. Nun aber steht man dem Machtwechsel in Indien offener gegenüber. Schließlich verwandelte er als Chefminister Gujarat in einen wirtschaftlich blühenden Vorzeigestaat. Genau das stellt er nun für das ganze Land in Aussicht. „Ihr habt 60 Jahre lang Herrscher gewählt“, rief er den Indern im Wahlkampf zu, „nun gebt einem Diener eine Chance. Ihr habt der Kongress-Partei 60 Jahre gegeben, nun versucht, mir 60 Monate zu geben.“

Modi hat seine schwächelnde Partei aus einem tiefen Loch ins Licht katapultiert. Die beiden letzten Wahlen hatte die BJP deutlich verloren, im Jahr 2009 hatten die Hindu-Nationalisten nur ganze 116 Sitze im Parlament ergattert. Ob Modi tatsächlich erreichen kann, was er angekündigt hat, ist ungewiss. Doch die neue Regierung verspricht, entschlossener, stärker zu sein, als die alte es war. Und diese Aussicht allein verändert die Stimmung in Indien. Schon die Wahlbeteiligung zeigte den neuen Schwung im Lande: 66 Prozent der Wähler hatten ihre Stimme abgegeben – das sind noch zwei Prozentpunkte mehr als bei der bisher größten indischen Wahlbeteiligung 1984, als eine Sympathiewelle die Menschen nach dem Mord an Premierministerin Indira Gandhi an die Urnen getrieben hatte.