Heftige Schlacht um Slowjansk mit Verlusten auf beiden Seiten. Mit der Rückgewinnung der Gebiete rechnet aber kaum jemand

Kiew/Berlin. Beim Vorrücken ukrainischer Regierungstruppen gegen die von Separatisten gehaltene Stadt Slowjansk haben beide Seiten schwere Verluste erlitten. Ein Sprecher der selbst ernannten prorussischen Volksmiliz sprach am Montag von etwa 20 getöteten Aktivisten. Auch aufseiten der Regierungstruppen gab es Tote, wie Innenminister Arsen Awakow sagte. Aus seinem Ministerium verlautete, dass vier Einsatzkräfte getötet und 30 verletzt worden seien. In Slowjansk nördlich der Gebietshauptstadt Donezk sind seit Tagen ukrainische Soldaten mit Panzerfahrzeugen und Hubschraubern im Einsatz. Slowjansk ist eine strategisch wichtige Stadt mit einem bedeutenden Eisenbahnknotenpunkt.

Die Separatisten rühmten sich, den Angriff der Regierungstruppen zurückgeschlagen zu haben. „Wir konnten unter großen Anstrengungen ein Eindringen des Gegners in die Stadt verhindern. In unseren Reihen gibt es viele Tote“, zitierte die Agentur Interfax einen Sprecher der Separatisten. Kugeln hätten eine Gastankstelle getroffen, die daraufhin explodiert sei. Auch ein Hubschrauber der ukrainischen Armee sei wieder abgeschossen worden.

Innenminister Awakow sprach von etwa 800 bewaffneten Separatisten, die die Stellungen in Slowjansk hielten. „Sie setzen schwere Waffen ein, schießen mit großkalibrigen Waffen, benutzen Granatwerfer und sonstige Technik“, sagte der Minister. Die Regierungstruppen hätten trotz der Gegenwehr den Fernsehturm der 125.000-Einwohner-Stadt eingenommen. Nun würden wieder ukrainische Fernsehsender ausgestrahlt.

Trotz der laufenden „Anti-Terror-Einsätze“ in der Ostukraine rechnet die Übergangsregierung in Kiew kaum noch mit einer Rückgewinnung der von Separatisten beherrschten Gebiete. Interimspräsident Alexander Turtschinow machte dafür erneut Russland verantwortlich und warf Moskau Kriegstreiberei vor. „Es ist ein Krieg gegen unser Land im Gange vonseiten der Russischen Föderation – sowohl im Osten als auch im Süden des Landes“, sagte er dem Kiewer Fernsehsender 5. Kanal.

Russland versuche die Lage vor der Präsidentenwahl am 25. Mai „völlig zu destabilisieren“. Im Osten der Ukraine habe Moskau seine Pläne bereits verwirklicht. Turtschinow räumte ein, dass es in der Region viele Anhänger einer Abspaltung von der Ukraine gebe. „Sagen wir doch mal ehrlich: Die Bürger dieser Regionen unterstützen die Separatisten, sie unterstützen die Terroristen, was die Durchführung der Anti-Terror-Operation erheblich erschwert“, sagte Turtschinow. Erschwerend komme hinzu, dass die Polizei mit den prorussischen Kräften sympathisiere. „Das ist ein kolossales Problem.“ Seit Beginn der Militäroffensive in der Ostukraine am Freitag gelang es den prorussischen Separatisten nach eigenen Angaben, zentrale Gebäude in Donezk und weiteren Großstädten wieder unter ihre Kontrolle zu bringen.

In Odessa im Südwesten des Landes setzte die Kiewer Regierung die gesamte Polizeiführung ab und entsandte Spezialkräfte mit der Bezeichnung „Kiew-1“ in die multiethnische Hafenstadt. „Die Polizei in Odessa hat vollkommen unverantwortlich gehandelt, möglicherweise aus kriminellen Gründen“, schrieb Awakow auf seiner Facebook-Seite. Sie sei nicht gegen die prorussischen Militanten eingeschritten. In Odessa waren am Freitag mehr als 40 Menschen bei Krawallen zwischen loyal zur Kiewer Regierung stehenden Demonstranten und Separatisten getötet worden. Die meisten starben beim Brand eines Gewerkschaftsgebäudes, in dem sich prorussische Demonstranten verbarrikadiert hatten.

Die ukrainische Regierung war besonders verärgert über die Entscheidung der Polizei, 67 zumeist prorussische Demonstranten aus der Haft freizulassen. Dazu war es gekommen, als Gesinnungsgenossen am Sonntag eine Polizeistation stürmten. Aus Kiewer Sicht ist die Polizei in weiten Teilen des Landes unzuverlässig. Die nun nach Odessa entsandten Kräfte entstammen zum Teil aus dem Widerstand gegen den im Februar gestürzten prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch auf dem Kiewer Maidan. Dies hat scharfe Reaktionen bei den Regierungsgegnern hervorgerufen, die Kiew vorwerfen, sich unter anderem auf „Faschisten“ vom sogenannten Rechten Sektor zu stützen.

In einem „Weißbuch“ prangerte das russische Außenministerium schwere Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine an. Anhänger der prowestlichen Regierung würden Gegner mit „Repressionen, physischer Gewalt und offenem Banditentum“ einschüchtern. Zudem seien in der Ukraine Ultranationalismus, Extremismus und Neonazismus auf dem Vormarsch. Die ukrainische Gesellschaft und die internationale Gemeinschaft werden in dem Bericht zum Einschreiten aufgerufen, andernfalls drohten „zerstörerische Konsequenzen für den Frieden, die Stabilität und die demokratische Entwicklung in Europa“. Ultranationalisten und Neonazis hätten die Protestbewegung „monopolisiert“. Die Vorwürfe werden mit Fotos von den Massenunruhen ergänzt, die im November zunächst in Kiew begonnen hatten. Der Kreml teilte mit, auch Präsident Wladimir Putin sei der Bericht vorgelegt worden.

Schon seit Beginn der Proteste in der Ukraine im Herbst, die sich gegen die damals noch prorussische Regierung in Kiew richteten, macht Moskau immer wieder Ultranationalisten und Neonazis für Verbrechen verantwortlich. Mit dem offiziellen Bericht sollten nun die internationale Gemeinschaft und ihre wichtigsten Institutionen aufgerüttelt werden, die „diesem Problem bislang nicht die notwendige und unparteiische Aufmerksamkeit“ gegeben hätten. Bisher seien selbst die brutalsten Menschenrechtsverletzungen und Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit ungestraft geblieben.

Putin, mit dem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntagabend erneut telefoniert hatte, forderte einen Dialog der Konfliktparteien in der Ukraine. Er bekräftigte seine Haltung, wonach die prowestliche Führung in Kiew dringend das Gespräch mit den moskautreuen Protestführern im Südosten des Landes suchen müsse. Der russische Chefdiplomat Sergej Lawrow forderte, das für den heutigen Dienstag geplante Außenministertreffen des Europarats müsse bei der Umsetzung einer tief greifenden Verfassungsreform in der Ukraine helfen. Zu dem Treffen in Wien werden 30 Außenminister erwartet.