Nach der Annektion der Krim kehrt der russische Patriotismus zurück. Putin genießt Popularität

Moskau. Ein Fahnenmeer taucht den Roten Platz in Moskau in die russischen Landesfarben. Weiß-Blau-Rot, wohin das Auge blickt. Der Tag der Arbeit, an dem ansonsten das Rot der Kommunisten dominiert, wird zum eindrucksvollen Zeichen des wiedererstarkten Nationalbewusstseins im größten Land der Erde. Die kremlnahe Jugendorganisation Junge Garde schwärmt von der „Größe, Schönheit und Unbesiegbarkeit“ des Landes. Der Anschluss der ukrainischen Halbinsel Krim hat dem Patriotismus einen neuen Höhepunkt beschert – wohl auch gerade wegen des scharfen internationalen Protests.

Kremlchef Wladimir Putin erreicht in Umfragen rekordverdächtige Spitzenwerte von mehr als 80 Prozent Zustimmung. „Friede – Arbeit – Putin“ steht auf einem Plakat in Moskau, „Wir glauben Putin“ auf einem anderen. Der 1. Mai gerät zur landesweiten Jubelfeier über die „Rückkehr“ der Krim. Von einem „Russischen Frühling“ ist die Rede. „Wir sind überzeugt, dass der Aufschwung des Patriotismus auf der Krim auf die gesamte Russische Föderation übergreifen wird“, meint Sergej Aksjonow, der von Putin eingesetzte Interimsgouverneur der von Kiew abtrünnigen Halbinsel. Plakate wie „Krim und Russland für immer vereint“ in Moskau oder St. Petersburg scheinen ihm recht zu geben. Stolz schwärmt Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin: „Der Mai-Feiertag ist in diesem Jahr ein ganz besonderer. Ich bin froh, dass in Moskau die Tradition der Massenaufmärsche wieder Einzug gehalten hat.“ Mit mehr als 100.000 Teilnehmern ist die Kundgebung die größte seit Jahren in der Hauptstadt. Und erstmals seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zieht die traditionelle Mai-Parade wieder über den Roten Platz.

Alles geschehe ganz nach dem klassischen nostalgischen Schema, betont der Vizechef des Moskauer Gewerkschaftsverbandes, Alexander Masunow, in der Boulevardzeitung „Moskowski Komsomolez“. „Wie zu Sowjetzeiten“, schreibt dazu das Internetportal „newsru.com“. Drinnen im Kreml ehrt Putin fünf Bürger als „Helden der Arbeit“. Den Ehrentitel hatte der Präsident erst im Vorjahr wieder eingeführt. Eine „Rückkehr zur sowjetischen Stilistik“ erkennt darin die Tageszeitung „Wedomosti“. Das Blatt kritisiert, Kundgebungen und Losungen dienten wie unter den Kommunisten einzig dazu, die massive und bedingungslose Zustimmung zur Politik der Regierung.

Für Kritiker sind dies Zeichen, dass Putin einen Staat nach Vorbild der Sowjetunion wieder errichten wolle, eine „Sowjetunion 2.0“. Beobachter fühlen sich eher an den Imperialismus der Zarenzeit erinnert – besonders mit Blick auf den umstrittenen Landgewinn. Wegen der Sanktionen von EU und USA gegen russische Politiker und Geschäftsleute sowie Unternehmen in der Ukraine-Krise nimmt die Wagenburgmentalität zwischen Ostsee und Pazifik noch zu. An ihrem wichtigen Feiertag, dem 1. Mai, zollen nun auch die Kommunisten dem Präsidenten Respekt. Voller Hochachtung betont ihr Führer Gennadi Sjuganow, Putin spreche neuerdings von der „russischen Seele“. Immer wieder verspricht Sjuganow den „slawischen Brüdern“ in der Ukraine Unterstützung. Von einem Militäreinsatz im Nachbarland spricht aber auch an diesem patriotisch aufgeladenen Tag kein Spitzenpolitiker.