Kiew gibt trotz Warnungen aus Moskau Befehl für „Anti-Terror-Einsatz“ im Osten des Landes. Russisches Fernsehen spricht von vier Toten

Kiew/Berlin. Der von der Ukraine angekündigte Einsatz gegen die prorussischen Bewaffneten im Osten des Landes hat begonnen. Übergangspräsident Alexander Turtschinow sagte, die angekündigte „Anti-Terror-Operation“ nach dem Ablauf eines Ultimatums am Montag sei angelaufen. In der Nähe der Städte Kramatorsk und Slowjansk im Verwaltungsgebiet Donezk kam es zu Schusswechseln zwischen ukrainischen Einheiten und moskautreuen Aktivisten. Nach schweren Gefechten hätten die Regierungseinheiten den Flugplatz von Kramatorsk unter ihre Kontrolle gebracht, sagte Turtschinow. Das russische Staatsfernsehen berichtete von mindestens vier Toten. Die moskautreuen Aktivisten sprachen von einem Verletzten in ihren Reihen. Eine offizielle Bestätigung für die Opferzahlen gab es zunächst nicht.

Zuvor waren am Dienstag nördlich der von den Aufständischen kontrollierten Kleinstadt Slowjansk mindestens 14 Schützenpanzerwagen mit ukrainischen Flaggen, ein Hubschrauber, Militärlastwagen und schweres militärisches Gerät aufgefahren. Darüber hinaus waren mindestens sieben Busse mit Regierungstruppen in schwarzen Kampfanzügen eingetroffen. Aus Kramatorsk berichteten Medien von Maschinengewehrsalven, einem tief fliegenden Kampfflugzeug und Hubschraubern mit Soldaten, die in der Stadt gelandet seien.

In den Straßen von Slowjansk richteten die prorussischen Bewaffneten dagegen Kontrollpunkte ein, mindestens auf einem wehte die russische Flagge. Der ukrainische Geheimdienst identifizierte einen Mann als Mitarbeiter des russischen Auslandsgeheimdienstes, der die prorussischen Operationen in Slowjansk leite. Er habe auch die russischen Truppen auf der Krim bei der Besetzung der Militäreinrichtungen auf der Halbinsel koordiniert.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte Kiew vor dem Einsatz von Gewalt gegen die prorussischen Demonstranten gewarnt. Man könne nicht Panzer schicken und zur selben Zeit Gespräche führen, hatte er bei einem Besuch in Peking mit Blick auf die für Donnerstag geplanten Verhandlungen mit den USA, der Europäischen Union und der Ukraine über die Krise gesagt. „Wenn Gewalt in der südöstlichen Ukraine eingesetzt wird, wird das wahrscheinlich die Chancen für das Treffen in Genf untergraben“, so Lawrow. Moskau sei daran interessiert, dass die vorgesehene Zusammenkunft zustande komme, beteuerte der Minister. Die Teilnehmer hätten sich schon auf ein vorläufiges Programm geeinigt, darunter Deeskalation, Entwaffnung illegaler Einheiten, verfassungsmäßige Reformen und Wahlen in der Ukraine.

Gleichzeitig ließ der Kreml in Moskau erklären, man werde die für den 25. Mai geplante Präsidentenwahl in der Ukraine nicht anerkennen. Moskau werde deshalb zu der „illegitimen“ Abstimmung auch keine Beobachter entsenden, wie ein kremltreuer Parlamentsabgeordneter sagte.

In einem Telefonat mit US-Präsident Barack Obama wies Russlands Präsident Wladimir Putin Vorwürfe zurück, Russland stecke hinter den Unruhen. Obama appellierte nach Angaben des US-Präsidialamtes an Putin, dafür zu sorgen, dass die Separatisten ihre Besetzungen aufgäben. Putin forderte seinerseits Obama auf, ein gewaltsames Vorgehen der Übergangsregierung in Kiew gegen die prorussischen Demonstranten und Besetzer zu unterbinden und beklagte die Gewalt seitens der Regierungstruppen auch in einem Telefonat mit Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon. Die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft müssten das „verfassungswidrige Vorgehen“ der Machthaber in Kiew verurteilen, forderte Putin nach Kremlangaben.

Vorwürfe der prowestlichen Regierung in Kiew, dass Russland mithilfe von Provokateuren die Unruhen in der Ostukraine schüre, seien Unsinn, hatte auch Lawrow der Agentur Interfax zufolge erklärt. Die Rufe der Regierung, eventuell Uno-Friedenstruppen in der Ostukraine einzusetzen, seien völlig unangemessen. Seine China-Visite folgte einen Tag nach Gesprächen, die Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Peking mit Chinas Außenminister und Regierungschef Li Keqiang geführt hatte. Lawrow wurde nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Wang Yi auch von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping empfangen – was als besondere Geste gewertet werden kann.

Bundeswirtschaftsminister Gabriel droht Russland mit neuen Sanktionen

Die Spannungen in der Ostukraine gehen nach Ansicht von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sehr wohl auf das Konto Moskaus. „Es ist sehr klar, dass Russland seine Hände im Spiel hat“, sagte Rasmussen vor einem Treffen mit den EU-Verteidigungsministern in Luxemburg. Er appellierte an den Kreml, die Truppen von der Grenze zur Ukraine zurückzuziehen und die Lage in dem Nachbarland nicht weiter zu destabilisieren. Russland müsse deutlich machen, dass es die prorussischen Separatisten nicht unterstütze: „Russland sollte aufhören, Teil des Problems zu sein, und damit beginnen, Teil der Lösung zu werden.“

Rasmussen kündigte an, mit den EU-Ministern über Maßnahmen zu sprechen, die die gemeinsamen Verteidigung stärken. Das umfasse auch gemeinsame Manöver der schnellen Eingreiftruppen von Nato und EU (Nato Response Force und EU Battle Group) sowie „angemessene Truppenverlegungen“. „Damit stellen wir sicher, dass wir bereit sind, was auch immer die Zukunft bringen mag.“ Rasmussen betonte zugleich, dass die Nato nicht über ein militärisches Eingreifen in den Konflikt diskutiere. „Die Suche nach einer politischen Lösung ist der richtige Weg.“

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) forderte Russland zur Deeskalation auf – und drohte mit weiteren Sanktionen: Wenn sich Moskau nicht um Entspannung bemühe, seien Deutschland und Europa bereit, die dritte Stufe der Sanktionen in Gang zu setzen. „Niemand will Wirtschaftssanktionen, aber klar ist auch, dass die Bundesregierung im europäischen Kontext keine Angst davor hat.“

Bisher haben sich die EU und die USA weitgehend auf Konten- und Einreisesperren beschränkt. „Wir haben eine äußerst fragile Situation, in der Besonnenheit wichtig ist“, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Nach Angaben von Frankreichs Außenminister Laurent Fabius könnten weitergehende Sanktionen, auch wirtschaftliche, in der kommenden Woche auf einem EU-Sondergipfel beschlossen werden.