Viele Soldaten und Offiziere laufen über. Nur noch das Kriegsschiff „Konstantin Olschanski“ und zwei Minensuchboote widerstehen den Russen

Nowooserne. Das Landungsschiff „Konstantin Olschanski“ liegt still im Wasser, mitten im schmalen See Donuslaw. Es ist das letzte große Kriegsschiff der ukrainischen Marine auf der Krim, das noch unter ukrainischer Fahne fährt. Daneben liegen seine zwei letzten Verbündeten – kleinere Minensuchboote, die ebenfalls noch nicht die Seiten gewechselt haben. „Wir haben vor, uns zu verteidigen“, sagt der Kapitän der „Olschanski“, Dmitri Kowalenko. Er fuhr sein Schiff auf den See, weg von der Küste und jenen Einheiten, die von russischen Truppen übernommen wurden. „Wir werden aufgefordert, zum Anlegeplatz zu kommen“, sagt er. „Das bedeutet aber, dass das Schiff gestürmt wird.“ Der Kapitän klingt betrübt, er weiß, dass sein Kampf aussichtslos ist. Doch er bleibt seinem Eid treu und erfüllt die Befehle aus Kiew – nicht aufgeben. Noch hat er Lebensmittel und Wasser. Aber sein Spielraum wird immer kleiner, die Zeit spielt gegen ihn. Einige Matrosen der Besatzung haben sich abgesetzt. „Wir halten noch durch“, sagt der Kapitän. „So lange, wie wir es eben noch können.“

Der „Olschanski“ bleiben nicht viele Möglichkeiten für ein Manöver. Der Ausgang ins Schwarze Meer ist zwar nur wenige Kilometer entfernt, aber gesperrt. Vor zweieinhalb Wochen sprengten russische Truppen ihre eigenen Schiffe und versenkten sie an der engen Stelle zwischen Salzsee und Meer. Jetzt liegen dort vier Wracks, am Horizont sind russische Schiffe zu sehen. Die Minensuchboote versuchen derweil, die Blockade zu durchbrechen und ein versenktes russisches Schiff wegzuschieben, aber vergeblich.

Am Anlegeplatz halten Maschinengewehrschützen hinter Sandsäcken Stellung, maskierte Scharfschützen lauern auf den Hügeln, russische Spezialeinheiten, die am Sonnabend die Korvette „Winniza“ stürmten. Jetzt weht über dieser eine weiße Fahne mit dem russischen Diagonalkreuz, der Fahne der russischen Marine. Daneben liegen zwei Schiffe, die wie die „Winniza“ Namen von ukrainischen Städten tragen, „Kirowograd“ und „Tschernihiw“. Auch sie unter russischer Flagge.

In der vergangenen Woche machte Russland einen Schritt nach dem anderen, um den Anschluss der ukrainischen Halbinsel zu zementieren. Nach dem fragwürdigen Referendum wurden Verträge zwischen der Krim, der Stadt Sewastopol und Russland unterschrieben und blitzschnell vom russischen Verfassungsgericht und dem Parlament abgenickt. Gleichzeitig verlor die Armee der Ukraine immer weitere Einheiten und Schiffe. Am Sonnabend wurde über dem einzigen ukrainischen U-Boot die russische Marineflagge gehisst. Die „Saporischschja“ soll jetzt zur russischen Schwarzmeerflotte gehören. Ein Teil der Mannschaft ging, ein Teil wechselte die Seiten. Zwei Einheiten, der Flughafen Belbek und Nowofedorowka, wurden gestürmt. Das letzte ukrainische Schiff in der Hafenstadt Sewastopol wurde übernommen. Von den ukrainischen Soldaten und Offizieren, die wochenlang umzingelt ausharrten, sind nicht wenige zu den Russen übergelaufen. Wie viele, das weiß niemand genau, die russische Seite treibt die Zahl hoch, die Ukrainer beschwichtigen.

In der Siedlung Nowooserne am See Donuslaw leben Familien von Militärs in alten Betonbauten, auf den Balkons hängt die Wäsche. Aljona und Maria gehen mit ihren Kindern spazieren. Ihre Männer sind auf der „Olschanski“. „Seit zwei Wochen habe ich keine Nacht durchgeschlafen“, sagt Aljona, die ihre acht Monate alte Tochter auf dem Arm hält. Jeden Tag hat sie eine Tasche mit Lebensmitteln gepackt, ist zur Anlegestelle gelaufen, als das Schiff noch wenige Meter vom Ufer entfernt lag. Über ein Seil ließ sie ihrem Mann Artjom Essen zukommen. Jetzt wartet sie darauf, dass er nach Hause zurückkehrt – nicht als Sieger, sondern als Überläufer.

Aljona stammt aus Nowooserne. Ihr Vater ist auch bei der Marine, und vor ein paar Tagen hat er einen Vertrag mit der russischen Armee unterschrieben. Er diente 24 Jahre lang, erst kurz in der Sowjetunion, dann in der Ukraine. Für ihn ist das wie Rückkehr zur sowjetische Armee. „Ich möchte, dass auch mein Mann auf der Krim bleibt und Russland dient“, sagt Aljona.

Artjom hat aber noch keine Entscheidung getroffen. Er hat lediglich gesagt, dass er nach Hause will, in die westukrainische Stadt Riwne. Dort wohnt seine ganze Familie. Auf der Krim werden Westukrainer nicht selten pauschal Nationalisten genannt – Banderowzy, Anhänger von Stepan Bandera, der im Westen als Nationalheld gefeiert und im Osten als Nazi-Kollaborateur verdammt wird. Aber Aljona will nicht mehr nach Riwne. Bis vor Kurzem wohnte sie dort bei ihren Schwiegereltern, und alles war in Ordnung. Doch seit Monaten werde sie auf der Straße immer wieder aufgefordert, nicht Russisch, sondern Ukrainisch zu sprechen. Das nervte sie, deshalb kam sie zurück.

„In die Ukraine zu fahren heißt für mich, ins Elend zu fahren“, sagt Aljona. Ihr Mann verdient bei der ukrainischen Armee 3000 Hrywnja pro Monat, knapp über 200 Euro. Die Uniform muss er selbst kaufen. „Wir halten nicht bis zum Ende des Monats durch, ohne Geld zu leihen“, sagt sie. In der russischen Armee könnte er gleich 10.000 Hrywnja verdienen, fast 700 Euro, glaubt sie. Vor drei Tagen sind in Nowooserne Personaler der russischen Armee aufgeschlagen. Sie versprechen ein besseres Leben.

Dazu kommt bei vielen die Empörung, dass die Regierung in Kiew wochenlang den Einheiten auf der Krim außer Durchhalteparolen nichts zu bieten hatte. Die ukrainische Armee auf der Krim ist so gut wie Geschichte.