Die neue Regierung der Ukraine hat keine Macht mehr über die Halbinsel

Kiew. Geradezu ohnmächtig muss die neue Regierung in Kiew mit ansehen, wie die Krim zielstrebig den umstrittenen Beitritt zu Russland umsetzt. In einem Appell an ihre Kollegen vom Krim-Parlament warnen die Abgeordneten in Kiew, das für diesen Sonntag geplante Referendum verstoße wie die vorgesehene Abspaltung gegen die Verfassung. Regierungschef Arseni Jazenjuk wettert über die selbst ernannte Krim-Führung in Simferopol: „Das ist eine Gruppe von Kriminellen, die auf verfassungswidrige Weise und unter dem Schutz von 18.000 russischen Soldaten die Macht an sich gerissen hat.“

Aber die Gewalt, den Lauf der Dinge zu stoppen, hat Jazenjuk nicht. Zwar stützen ihn die EU und die USA demonstrativ. So will US-Präsident Barack Obama den Gefolgsmann von Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko empfangen. Aber ein Dialog mit Russland, der Schutzmacht der Krim, ist in weiter Ferne – Moskau verweigert der Regierung Jazenjuk die Anerkennung. Währenddessen schafft das prorussische Parlament in Simferopol Fakten. Schon Tage vor der Volksabstimmung erklärte es die Krim für unabhängig.

Und auch der entmachtete ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch wirft sich aus seinem russischen Exil nicht für eine Einheit des Landes in die Bresche. Ganz im Gegenteil: Schon scheint er sich mit dem Verlust der strategisch wichtigen Halbinsel abgefunden zu haben. In einer wirr anmutenden Erklärung im russischen Rostow am Don betont Janukowitsch eilig, die Verantwortung für die Abspaltung der Krim trügen allein die „Umstürzler“ in Kiew. Keine zwei Wochen nach ihrem Amtsantritt gerät die neue ukrainische Führung damit immer stärker unter Druck. Im Zentrum der Massenproteste gegen Janukowitsch ist der Frust groß. „Irgendwie haben sie die Krim schon aufgegeben“, meint der ehemalige Flugzeugingenieur Sergej. „Keiner auf dem Maidan vertraut ihnen, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Auch der 39-jährige Alexander hält die neue Führung für ungeeignet. „Die ehemalige Opposition steckt im gleichen Sumpf, aus dem wir uns herauszuwinden versuchen“, meint er, während er nachdenklich in einem Becher Kaffee rührt.

Der Maidan, so hat es den Anschein, ist immer noch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Der große Unabhängigkeitsplatz im Zentrum der Millionenstadt wirkt wie ein Gedenkort für die fast 100 Toten der gewaltsamen Proteste. Ein Meer aus roten Nelken und Windlichtern erinnert an die „Himmlischen Hundert“, wie die Opfer hier genannt werden. Staunend streifen Kiewer und Touristen durch die Barrikaden. In der milden Frühlingssonne schmilzt der letzte Schnee. Übrig bleibt ein schmutziger Sperrmüllberg.

Vor dem Rathaus spielen junge Männer Tischtennis. In aufgestellten Boxen wird Geld für die ukrainischen Soldaten auf der Krim gesammelt, die meist von prorussischen paramilitärischen Einheiten umzingelt sind, oder auch für den revolutionären Kampf des Maidan. Einsam weht eine Flagge der Krimtataren im Wind.

Indes braut sich anderswo ein Sturm zusammen. In der Nähe der Krim ist die ukrainische Armee zu Übungen ausgerückt. Interimspräsident Alexander Turtschinow hat volle Kampfbereitschaft angeordnet, um Stärke zu demonstrieren. Eine Nationalgarde mit bis zu 50.000 Mitgliedern ist vorgesehen. Schon werden Forderungen laut, nun auch hart zuzuschlagen. Turtschinow müsse den „Banditen“ auf der Krim ein Ultimatum stellen und sie notfalls „unschädlich“ machen, fordert etwa der Ex-Verteidigungsminister Anatoli Grizenko.

Aber eine realistische Chance gegen die russischen Soldaten auf der Krim hätte die ukrainische Armee nach Ansicht von Experten nicht. Nach Angaben des kommissarischen Verteidigungsministers Igor Tenjuch sind gerade einmal 6000 Soldaten einsatzbereit – von eigentlich mehr als 40.000. Auf der anderen Seite hat die russische Armee eine Übung von etwa 3500 Fallschirmjägern angesetzt. Die Übung stehe nicht im Zusammenhang mit der Krise auf der Krim, versichert das Ministerium.

So setzt die Regierung Jazenjuk auch gezwungenermaßen auf Diplomatie – ohne große Aussichten, die Krim noch zu halten. Nun, meint der Politologe Alexej Garan, gelte es vor allem, ein Auseinanderbrechen des ganzen Landes zu verhindern. In einem Blog-Eintrag für die Internetzeitung „Ukrainskaja Prawda“ schreibt er: „Wir müssen jetzt die Situation im Osten und Süden stabil halten.“