Kanzlerin erhält beim Besuch Israels die höchste zivile Auszeichnung des Landes. Auch beim Volk erfährt die Regierungschefin großen Zuspruch

Jerusalem. Die deutsche Kanzlerin ist in Israel eine beliebte Person. Das sagt die sonst notorisch kritische Presse. Das sagen die Menschen, die in Jerusalem hinter Absperrungen warten müssen, als Angela Merkels Wagenkolonne vom King-David-Hotel durch Jerusalem zur Residenz des Präsidenten fährt. Das sagt Schimon Peres schließlich in bewegenden Worten.

Merkel habe nicht weniger als „eine weitere Dimension der Beziehungen“ zwischen Israel und Deutschland hinzugefügt: „Vollständiges und tiefes Vertrauen, ein Vertrauen, das die Herzen junger Leute bewegt.“ Peres wählt große Worte: „Was Sie für die Sicherheit Israels und für den Frieden tun, ist wie ein Felsen.“ Der Präsident wird aber auch konkret: „Sie bieten uns auch die Mittel der Selbstverteidigung.“

Vorher war die Kanzlerin schon in einer Laudatio vom Vorsitzenden des Auswahlrats gepriesen worden. Die Erinnerung an die Schoa sei in Israel nach wie vor stark, aber: „Die Freundschaft des heutigen Deutschland ragt darüber hinaus. Das liberale und demokratische Deutschland unter der Leitung von Angela Merkel.“ Vor allem auf der internationalen und europäischen Ebene stehe Merkel „an der Vorfront im Kampf gegen die Delegitimierung Israels“. Und Peres sagt auch: „Sie setzten sich wie wir für den Frieden ein – es darf nicht sein, dass er scheitert.“

Der Präsident verleiht Merkel die Ehrenmedaille – die höchste zivile Auszeichnung, die der israelische Staat zu vergeben hat. Merkel, ansonsten zurückhaltend mit Emotionen, wirkt gerührt: „Das ist etwas ganz Besonderes.“ Zwischen Deutschland und Israel sei Vertrauen gewachsen: „Vertrauen, das an ein Wunder grenzt.“ Noch ungewöhnlicher als diese Ehrung ist aber vielleicht der Zuspruch, den Merkel in vielen unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft Israels erhält. Dieser Dienstag, der zweite Tag der deutsch-israelischen Regierungskonsultationen, zeigte dies im Zeitraffer. Zuerst traf Merkel nicht die Regierung, sondern die Zivilgesellschaft. Dieses Format wurde einst von deutschen Diplomaten als Lehre aus der Annäherungspolitik an den Ostblock entwickelt, die zur Anbiederungspolitik an die Machthaber verkommen war. Statt nur die Diktatoren zu treffen, bestand man fortan darauf, auch mit Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen zu sprechen.

Oft ist es der lehrreichste Teil von Staatsbesuchen, weshalb Merkel auch in Demokratien solche Treffen veranstaltet. Deshalb besucht an diesem Morgen eine so bunte Schar die deutsche Regierungschefin im Hotel, wie es sie wohl nur in Israel gibt: Da ist Regev Contes, 37, der vor drei Jahren die Proteste gegen Mietpreissteigerungen in Tel Aviv anführte, und Merkel erklärt, dass sein Widerstand gegen den „Extremkapitalismus“ auf „traditionellen jüdischen Werten“ beruhe. Oder Ayelet Wieder Cohen, 48, die orthodoxes Judentum und Feminismus versöhnen will. Oder Yoaz Hendel, zionistischer Militärhistoriker, der für die Menschenrechte aller Bewohner Israels kämpft, weil er das „nicht den Linken überlassen“ will.

Anschließend trifft Merkel einen alten Bekannten: Benjamin Netanjahu. Das schwierigste Gespräch war am Vorabend. Der Premierminister und die Kanzlerin sind in zwei zentralen Punkten nicht einer Meinung. Merkel glaubt, dass die von der israelischen Regierung betriebene Siedlungspolitik wesentliches Hindernis für den Ausgleich mit den Palästinensern und damit für den Friedensprozess ist. Netanjahu hingegen glaubt, dass er – würde er Siedlungen zurücknehmen und damit Menschen zwangsumsiedeln – dafür im Gegenzug nicht mehr, sondern weniger Sicherheit für seine Bürger erhielte.

Der Konflikt zwischen Merkel und Netanjahu war lange von enttäuschten Erwartungen und lautstarken Telefonaten geprägt. Zuletzt einigte man sich auf die Formel, man stimme überein, nicht übereinzustimmen. Merkel ist aber bei diesem Besuch erkennbar bemüht, den Gesprächsfaden wieder zu knüpfen. Auf einer Pressekonferenz findet sie dafür die Formel: „Wir haben mittlerweile gelernt, auch über Dinge, bei denen wir nicht einer Meinung sind, gut zu sprechen.“ Fast scheint es, als nicke Netanjahu. Aber die Siedlungen sind nicht das Einzige, das zwischen den Partnern steht. Auch in der Frage, wie es gelingen kann, den nach nuklearer Bewaffnung strebenden Iran einzudämmen, stimmt man nicht überein. Angela Merkel folgt der sogenannten E3+3-Gruppe, bei denen sich Staaten unter der Führung der USA mit den Iranern darauf geeinigt haben, dass diese Uran nur niedrig anreichern. Netanjahu hingegen will „null Prozent“ Anreicherung. Wer die Kernenergie, wie die Iraner behaupten, nur zivil nutzen wolle, brauche überhaupt keine Anreicherung. Merkel argumentiert, das neue Abkommen mit dem Iran sei „nicht der Idealzustand“, aber „besser als der Zustand zuvor“.

Merkel gibt sich Mühe, die Unterschiede nicht zu dramatisieren, verschleiert sie aber auch nicht. Später beim Staatspräsidenten geht sie jedoch noch einmal auf die Sorgen der Israelis ein. „Wir dürfen in Deutschland nicht vergessen, dass die Bedrohung Israels nicht abstrakt, sondern konkret ist“, sagt sie in ihrer Dankesrede. Der Ton des Iran sei „teilweise ein anderer“ geworden, aber: „Taten fehlen noch.“

Beide Seiten vereinbarten bei den fünften deutsch-israelischen Regierungskonsultationen, ihre Zusammenarbeit zu vertiefen. Es sei „gemeinsames Ziel, die einzigartige Beziehung und die engen Bande zwischen beiden Staaten weiter auszubauen“, erklärte die Bundesregierung, die mit Merkel und 13 ihrer 15 Minister angereist ist. Die Zusammenarbeit solle „zukunftsorientiert“ sein, Deutschland wisse aber zugleich um seine „historische Verantwortung“. Mit Blick auf 2015, wenn die Aufnahme diplomatischer Beziehungen 50 Jahre zuvor gefeiert wird, wurde eine verstärkte Zusammenarbeit in vielen Bereichen vereinbart. Merkel kündigte auch eine schnelle Regelung der Altersbezüge ehemaliger jüdischer Gettoarbeiter an. Nicht zuletzt „für die sehr betagten Menschen“ sei das von Bedeutung. „Viele haben darauf gewartet.“ Die geplante Regelung sieht nachträgliche Zahlungen von Renten an ehemalige Gettoarbeiter vor.