Ukrainisches Parlament nimmt umstrittene Gesetze zurück, Regierung dankt ab. Demonstranten bleiben misstrauisch

Kiew. In der festgefahrenen Krise in der Ukraine gibt es erste Hoffnung auf eine friedliche Lösung. Offenbar zeigt der Druck der Straße Wirkung, Opposition und Demonstranten konnten Präsident Viktor Janukowitsch zu Zugeständnissen drängen. Am Dienstag nahm das Parlament die umstrittenen Gesetze zurück, die die Versammlungs- und Meinungsfreiheit deutlich eingeschränkt hatten. Das Gesetzespaket war am 16. Januar ohne Diskussion verabschiedet worden. Da die Opposition damals das elektronische Abstimmungssystem blockierte, stimmten die Abgeordneten per Handvotum ab – ihre Stimmen wurden innerhalb weniger Sekunden gezählt. Die Rücknahme der Gesetze folgte fast genauso schnell wie ihre Verabschiedung, ohne Debatte. Der Vorsitzende zählte lediglich die Nummern der Gesetze auf.

Damit kann die Opposition ihren ersten Sieg feiern. „Ein kleiner, aber wichtiger Schritt“, kommentierte Oppositionspolitiker Vitali Klitschko die Entscheidung. „Heute müssen wir noch über die wichtige Frage der Amnestie abstimmen und alle festgenommenen Demonstranten freilassen“, sagte er weiter. „Jene Gesetze sind nun zurückgenommen, die Ukrainern verbieten, frei zu reden, sich frei zu versammeln und ihre Position frei zum Ausdruck zu bringen“, sagte Arsenij Jazenjuk, Fraktionschef der oppositionellen Partei Batkiwschtschyna. Er rief Präsident Janukowitsch dazu auf, die heutige Entscheidung des Parlaments sofort zu unterzeichnen, damit sie in Kraft tritt.

Ebenfalls am Dienstag traten Ministerpräsident Mikola Asarow und sein gesamtes Kabinett zurück. In einer Erklärung auf der Regierungsseite erläuterte Asarow seinen Schritt. Er wolle „zusätzliche Möglichkeiten für einen gesellschaftlichen und politischen Kompromiss schaffen, um den Konflikt friedlich zu lösen.“ Die gegenwärtige Konfliktsituation in der Ukraine bedrohe die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes. Am Nachmittag nahm der Präsident Asarows Rücktrittsangebot offiziell an.

Neuer Ministerpräsident hätte Oppositionspolitiker Jazenjuk werden können – jedenfalls hatte Janukowitsch ihm den Posten am Samstagabend angeboten. Klitschko, Chef der Oppositionspartei Udar, sollte dessen Stellvertreter werden. Die beiden lehnten jedoch eine Regierungsbeteiligung unter Janukowitsch ab. Als ein möglicher Kandidat für den vakant gewordenen Posten des Premierministers wird der Unternehmer Petro Poroschenko gehandelt, der dem oppositionellen Lager nahesteht. Nach der Orangenen Revolution, die der Oligarch unterstützte, war er 2005 Chef des ukrainischen Sicherheitsrates. Zwischen 2009 und 2010 war Poroschenko in der Regierung von Julia Timoschenko Außenminister.

„Wenn der Präsident bereit ist, der Opposition das Amt des Regierungschefs anzubieten und die Regierung zu formen, sind wir bereit, die Verantwortung zu übernehmen“, sagte Poroschenko im Parlament. Über seine eigene Kandidatur wollte er nicht sprechen. „Wir sind bereit, dazu zurückzukehren, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterschreiben und mit dem Internationalen Währungsfonds zu reden. Wir sind bereit, das Land zu modernisieren und Reformen zu starten“, sagte er weiter. Bei einer Fortsetzung der Sondersitzung ging es um eine Amnestie für die Teilnehmer der Proteste. Die Regierung knüpft diese allerdings an eine Bedingung: Justizministerin Lukasch hatte am Montag erklärt, der Straferlass könne nur in Kraft treten, wenn besetzte Verwaltungsgebäude und Zufahrtswege von den Demonstranten geräumt werden. Die Debatte zum Thema Amnestie endete am Dienstag ohne Ergebnis.

Für die Demonstranten auf der Straße sind diese Konditionen nicht annehmbar. „Es ist ungerecht, wenn Beamte solche Bedingungen an Menschen stellen, die ihre Rechte verteidigen“, sagte ein Abgeordneter von Klitschkos Partei Udar, Valentin Naliwajko. Auf dem Maidan, wo die Menschen seit zwei Monaten protestieren, herrschte Freude über die Rücknahme der umstrittenen Gesetze und den Rücktritt Asarows. Die meisten allerdings wollen nicht gehen, bis auch Präsident Janukowitsch seinen Rücktritt erklärt. „Wir werden hier bis zum kompletten Machtwechsel bleiben“, sagte der 24-jährige Arzt Alexander. Über den sich nun abzeichnenden Kompromiss sind viele Menschen erleichtert, auch wenn sie dem Präsidenten nicht vertrauen. „Wir hoffen, dass es der Beginn der friedlichen Lösung ist. Wir wollen keinen Krieg, wir wollen politische Veränderungen“, sagte die 24-jährige Managerin Ljolja. „Wir hoffen, dass das keine Falle ist.“

Unterdessen gehen die internationalen Bemühungen um eine Vermittlungslösung weiter. So ist Stefan Füle, EU-Kommissar für Nachbarschaftspolitik, wieder in Kiew, um Gespräche mit Regierung und Opposition zu führen. Er zeigte sich vorsichtig optimistisch. „Es ist entscheidend, dass die heutige Sondersitzung des Parlaments den Weg für einen integrativen politischen Prozess ebnet, der zu einem Ausweg aus der Krise führen kann“, sagte er.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) begrüßte die Entscheidung Asarows als ein richtiges Signal. „Der Rücktritt des Ministerpräsidenten könnte den Eintritt in die Suche nach politischen Kompromissen möglich machen“, sagte Steinmeier. Zusammen mit dem niederländischen Außenminister Frans Timmermans warb er für eine enge Abstimmung innerhalb der Europäischen Union. „Natürlich müssen wir über Sanktionen nachdenken. Sie werden nicht zu vermeiden sein, wenn die Lage nicht veränderbar ist. Nur: Man muss das kalkuliert einsetzen.“ Beide Minister mahnten für den Machtkampf in der Ukraine abermals eine gewaltlose Lösung an. Die EU wolle dabei mit ihren Kontakten zu beiden Seiten Unterstützung leisten.