Überläufer behauptet: Syriens Machthaber Assad lässt Gräuel an Gegnern verüben

Berlin . Die Bilder der Opfer sind nur schwer auszuhalten: Blutbefleckte Leichen, die Oberkörper mit tiefen, roten Striemen übersät und Strangulierungsmerkmale, die von professionell agierenden Killern zeugen. Viele der Toten sind bis auf die Knochen abgemagert. Die erschreckenden Fotos sollen Dokumente aus dem syrischen Bürgerkrieg sein. Sie belegen angeblich den unmenschlichen Umgang des Regimes von Präsident Baschar al-Assad mit seinen Gefangenen. Ein Deserteur mit dem Decknamen Cesar will 55.000 Fotos von 11.000 Opfern auf einem USBStick aus dem von der Regierung kontrollierten Gebiet herausgeschmuggelt haben. „Es sind 55.000 Bilder von Menschen, die gefoltert und getötet wurden“, sagt Sir Desmond de Silva, ehemaliger Chefankläger am Spezialgerichtshof in Sierra Leone. Er ist Vorsitzender einer Untersuchungskommission, die das Material und die Aussagen Cesars auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfte.

Der Informant behauptet, die Aufnahmen zwischen dem Beginn des Aufstands 2011 und dem August 2013 im behördlichen Auftrag angefertigt zu haben. Mit ihnen sollte die Ausführung von Hinrichtungsanordnungen belegt sowie Material für die Ausfertigung von Totenscheinen hergestellt werden. „Manchmal gab es bis zu 50 Leichen am Tag zu fotografieren, und für jede brauchte man etwa 15 bis 30 Minuten“, wird Cesar zitiert. Er behaupte aber nicht, die Exekutionen miterlebt zu haben. Diese Einschränkung mache ihn noch glaubwürdiger, sagen die Prüfer. „Wir sind überzeugt, dass diese Dokumente echt sind und vor jedem Gericht standhalten würden“, meint de Silva. Sollte sich das bestätigen, könnte vor dem Internationalen Strafgerichtshof in den Haag Anklage gegen die Verantwortlichen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen erhoben werden.

Im Laufe des syrischen Bürgerkrieges gab es Massaker, Exekutionen und Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Die Schuldigen sind auf lokaler und wahrscheinlich höchstens auf mittlerer Ebene des Regimes zu benennen. Bei dem neuen Fall von systematischer Folter und Mord an Tausenden von Gefangenen könnte das anders sein. Angesichts des Ausmaßes müssen die Befehle von ganz oben gekommen sein. Die Frage ist, ob die Beweislage ausreicht, um Schuldige im Präsidentenpalast zu identifizieren.

Zur Untersuchungskommission gehörten neben de Silva weitere bekannte Rechtsexperten wie Sir Geoffrey Nice, Chefankläger gegen den jugoslawischen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic vor dem internationalen Jugoslawien-Tribunal. Hinzu kam ein forensisches Expertenteam. In ihrem Abschlussbericht lässt die Kommission keinen Zweifel: Das Material lasse eindeutig auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schließen.

Im April 2012 war mit Liberias ehemaligem Präsidenten Charles Taylor das erste Mal ein früheres Staatsoberhaupt in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im liberianischen Bürgerkrieg der 90er-Jahre schuldig gesprochen worden. Taylor wurde zu 50 Jahren Haft verurteilt. Die Anklage hatte etwa 50.000 Seiten Aktenmaterial und 1000 Beweisstücke vorgebracht.

Die Londoner Anwaltskanzlei Carter-Ruck und Co., bei der die Dokumente von Cesar gelandet waren, hatte de Silva und seine Kollegen beauftragt. Das Geld kam von der Regierung in Katar, was die Glaubwürdigkeit der Untersuchungsergebnisse berührt. Das Emirat am Golf ist einer der engagiertesten Unterstützer der syrischen Opposition und einer ihrer wichtigsten Finanziers. „Wir waren uns dieser Verwicklung und der Gefahr, die von ihr ausgeht, sehr bewusst“, sagt de Silva. „Aber die Fakten in diesem Fall sprechen für sich.“

Die Behauptung, dass die syrische Regierung foltert und exekutiert, ist nicht überraschend. „Ich wurde fünf Tage lang an den Händen aufgehängt, nur meine Zehenspitzen konnten den Boden berühren“, erzählte vor gut einem Jahr ein ehemaliger Gefangener des Regimes. „Täglich wurde ich geschlagen und man hat mir Elektroschocks verpasst.“ Mit mehr als 50 Menschen sei er in einer Zelle untergebracht gewesen, in der man dicht aneinandergedrängt habe stehen müssen. „Allein auf unserem Flur waren 30 oder 40 solcher vollgestopfter Zellen.“ Nachts habe man die Schreie derjenigen gehört, die gefoltert wurden, und immer wieder Schüsse von Exekutionen, berichtete der Gefangene, der heute in Aleppo gegen das Regime kämpft. „Wir haben schon einige Male dokumentiert, wie die syrischen Sicherheitsdienste foltern, und das auch bis zum Tod“, sagt Nadim Houry von Human Rights Watch. „Aber diese Fotos, sollten sie authentisch sein, beweisen, dass wir nur die Spitze des Eisbergs der horrenden Folter in den Kerkern Syriens beschrieben haben.“