In Wolgograd kommen bei einem Terroranschlag mindestens 14 Menschen ums Leben, als im Bahnhof eine Bombe detoniert. Sorge um Olympia

Moskau. Dicht gedrängt stehen die Menschen vor einer Sicherheitsschleuse im Bahnhof von Wolgograd. Es sind Neujahrsferien in Russland. Deshalb sind viel mehr Reisende als sonst unterwegs, und sie haben auch mehr Gepäck dabei als üblich. Plötzlich erschüttert eine gewaltige Explosion das Gebäude. Sämtliche Scheiben im Erdgeschoss bersten, Menschen werden auf die Vortreppe geschleudert, Rauch zieht über den wuchtigen Uhrenturm hinweg. In die Panik der Überlebenden mischt sich schnell auch Angst vieler Russen vor einer Terrorserie: Denn dies ist der zweite Anschlag an diesem Wochenende.

Am Freitagabend hatte bereits die Explosion einer mächtigen Autobombe in der Stadt Pjatigorsk im Nordkaukasus für Aufsehen gesorgt. Bei dem Anschlag vor einer Polizeistation starben drei Menschen. Die Behörden vermuten auch hier einen terroristischen Hintergrund. Von Pjatigorsk sind es nur 250 Kilometer nach Sotschi – dort beginnen in knapp sechs Wochen die Olympischen Winterspiele. „In der Provinz können Extremisten leichter agieren als in Moskau, die Hauptstadt wird auch wegen der Winterspiele schärfer bewacht“, sagt Sprecher Wladimir Markin von der Ermittlungsbehörde.

Radikale Islamisten aus dem russischen Konfliktgebiet Nordkaukasus drohen seit Monaten, den Terror vor den Wettkämpfen ins Kernland zu tragen. Die Millionenstadt Wolgograd, das frühere Stalingrad, Ort einer der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs, gilt als wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Erst Ende Oktober hatte hier eine Selbstmordattentäterin in einem Linienbus sechs Passagiere getötet. Wolgograd sei „in Panik“, sagt Kasbek Farnijew, der Berater des Gebietsgouverneurs. „Zwei Anschläge in zwei Monaten – das ist zu viel für die einfache Bevölkerung. Der Staat muss handeln“, fordert er. Es gehe nicht nur um Sotschi: Wolgograd sei eine der Spielstätten der Fußball-Weltmeisterschaft 2018, die in Russland stattfindet.

Den Anschlag im Oktober verübte eine Islamistin aus der Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus. In der bergigen Vielvölkerregion kommt es immer wieder zu Gefechten zwischen Kreml-Einheiten und Extremisten. Diesen „Krieg“ in zentrale Teile Russlands zu tragen, dies hat der tschetschenische Islamistenführer Doku Umarow angedroht. Der Terrorchef wirft Präsident Wladimir Putin eine „blutige Besatzungspolitik“ im Nordkaukasus vor. Umarows Ziel ist ein von Moskau unabhängiger islamischer Gottesstaat, ein „Kaukasus-Emirat“. Zwar pumpt der Kreml Milliarden in die verarmte Region, um der für radikale Ideen anfälligen Jugend mit Jobs eine Perspektive zu verschaffen. Doch die Behörden werfen auch internationalen Terrornetzwerken wie al-Qaida vor, die Islamisten zu finanzieren.

Bei der Explosion im Bahnhof der Stadt Wolgograd im Süden Russlands kamen am Sonntag mindestens 14 Menschen ums Leben, wie die russischen Ermittlungsbehörden mitteilten. Das Gesundheitsministerium des Gebiets Wolgograd meldete sogar 18 Tote. „Ersten Ermittlungen zufolge ist am Eingang vermutlich ein Sprengsatz detoniert“, erklärte die Polizei. Präsident Putin wies die Behörden an, die Sicherheitsmaßnahmen an allen Bahnhöfen und Flughäfen zu verstärken. Die ersten Bilder vom Anschlagsort zeigen ausgeschlagene Fenster und Rauch, der aus dem Gebäude des Bahnhofs steigt. Davor stehen Notarztwagen und Polizei. Die Angaben zu den Todesopfern sind vorläufig, mehr als 40 Menschen wurden nach derzeitigen Erkenntnissen verletzt, 27 wurden in Krankenhäuser gebracht. Die Explosion ereignete sich um 12.45 Uhr Ortszeit (9.45 Uhr mitteleuropäischer Zeit) im Erdgeschoss des Bahnhofs.

Die Ermittlungsbehörden gehen von einem Terroranschlag aus. Vermutlich sei er von einer Selbstmordattentäterin verübt worden. Angeblich ist der Kopf der Attentäterin gefunden worden. Kurz vor dem Anschlag habe ein Polizist eine verdächtig wirkende Frau im Bahnhofsgebäude entdeckt und sei auf sie zugegangen. Dann habe sich die Explosion ereignet.

Die Bombe explodierte neben dem Eingang zum Bahnhof, vor dem Metalldetektor. Solche Detektoren stehen in Russland am Eingang der meisten öffentlichen Gebäude wie Flughäfen, Bahnhöfen, auch in Kinos und Universitäten. Davor bildet sich in der Regel eine Schlange von Menschen, die auf die Sicherheitskontrolle warten. In Wolgograd ist unter anderem ein Polizist ums Leben gekommen, der die Sicherheitskontrollen durchführte.

Kurze Zeit später tauchte ein Video der Explosion im Internet auf, dessen Echtheit und Quelle aber nicht verifiziert werden konnten. Darin sieht man ein starkes Aufflammen im zentralen Teil des Bahnhofs. Die Augenzeugin Walentina Petritschenko, die in einem Kiosk arbeitet, erzählte im russischen Staatsfernsehen: „Es gab eine gewaltige Explosion. Man sah Menschen in Panik, einige liefen weg, andere wurden von der Druckwelle umgeworfen.“ Sie fügte hinzu: „Menschen lagen auf der Treppe und am Eingang, die Tür lag auch da, sie war ausgeschlagen.“

Die Anschläge werfen Fragen um die Sicherheitslage während der Winterspiele in Sotschi auf, die in 40 Tagen beginnen. Im Juli dieses Jahres rief Doku Umarow, der Anführer der islamischen Terroristen im Nordkaukasus, in einem Video dazu auf, die Olympischen Spiele in Russland um jeden Preis zu verhindern. Wolgograd liegt etwa 700 Kilometer von Sotschi entfernt, Pjatigorsk etwa 250. Für russische Verhältnisse sind das geringe Entfernungen.