In den USA greift der Shutdown. Zoos und Museen sind menschenleer, Veteranen stehen vergeblich vor Denkmälern. Nun leidet auch die Wirtschaft unter der radikalen Haushaltssperre.

Sophie ist vier und starrt das Schild am verriegelten Eingangstor zum National Zoo am Rande der Connecticut Avenue an. Der Tierpark bleibe geschlossen wegen des „Government Shutdown“, steht darauf zu lesen. Kann Sophie etwa schon lesen? „Nein“, sagt die Mutter, und dann etwas vorsichtiger: „Nicht dass ich wüsste.“ Aber was soll Sophie auch sonst anstarren? Löwe, Tiger und Elefant wird sie heute nicht zu sehen bekommen, und die Mutter ärgert sich, dass sie überhaupt hierhergefahren ist. „Natürlich habe ich vom Shutdown gehört, mein Bruder ist auch Beamter und beurlaubt. Aber der Zoo? Das wusste ich nicht.“ Auch die New Yorker Freiheitsstatue, das vielleicht bekannteste Wahrzeichen der Vereinigten Staaten, ist geschlossen. An der Südspitze Manhattans, wo die Fähren in Richtung Liberty Island ablegen, sagt ein Tourist: „Man neigt dazu, das Vertrauen in ein Land zu verlieren, das nicht einmal mehr seine Nationalparks öffnen kann.“

Regierungsstillstand. Weil sich Kongress und Weißes Haus im Budgetstreit nicht einigen konnten, sind Teile der USA seit Dienstag lahmgelegt. Zu beobachten sind die Folgen besonders in Washington, wo die Dichte von Regierungsbehörden oder Einrichtungen des Bundes besonders hoch ist. Zwanzig Meter entfernt von Sophie und ihrer Mama, die jetzt enttäuscht abziehen, hat ein Polizeiwagen den Eingang zu den Parkplätzen des Zoos abgeriegelt. „Wir stehen hier schon den ganzen Tag und mussten einige Dutzend Leute wegschicken“, sagt der stämmige Beamte hinter dem Steuerrad. Der jüngere Kollege auf dem Beifahrersitz nickt. „Viele Touristen sind sehr überrascht. Ich habe eine Übersetzungs-App auf meinem Smartphone und kann den Leuten auch in Japanisch oder Deutsch Auskunft geben, um was es geht.“ Ob die es dann verstehen, bleibt ungewiss.

Ein kleines Restaurant gegenüber dem Eingang zum Zoo. Dort bedient Tony, und er ist in mieser Stimmung. „Dieser Shutdown ist eine Dummheit. Die Politiker im Kongress versuchen zu beweisen, wer die größten Eier hat. Aber Politik hat etwas zu tun mit Kompromissen. Wer das nicht begreift, hat auf dem Hill nichts zu suchen.“ Wie groß die Umsatzeinbußen in dem Lokal heute sein werden, will Tony mit Rücksicht auf seinen abwesenden Chef lieber nicht schätzen. Immerhin sagte er: „Nur mal theoretisch: Der Government Shutdown wird alle Geschäftsleute in der Nähe von touristischen Attraktionen schädigen, und je länger er dauert, desto schlimmer wird’s.“

Ganz in der Nähe gähnt die Leere eines Seven-Eleven-Shops. Verkäufer Beyene schaut mit einem Kollegen durch die großen Fenster nach draußen. Eine Kundin wurde gerade abkassiert, jetzt steht nur der Reporter in dem Laden. „Ich hoffe, der Zoo wird sehr bald wieder eröffnet“, sagt Beyene, dem die Laufkundschaft der Touristen fehlt. „Heute haben wir vielleicht 20 Prozent des sonstigen Umsatzes. Vielleicht auch nur zehn Prozent.“

Warum macht sich die Regierung zusätzliche Arbeit, wenn sie schließt? Im Zentrum von Washington D.C. sind nicht nur alle Smithsonian-Museen entlang der berühmten Mall geschlossen, sondern auch die beiden Straßen, die an ihnen entlangführen: Barrikaden versperren den Zugang zum Jefferson Drive und zum Madison Drive. Ein Polizist, der in der Nähe Dienst tut, kann auch nicht recht erklären, warum das geschah. Vielleicht eine Forderung der Versicherung, die Unfälle im Bereich der Museen abdeckt? Oder will das Weiße Haus die Auswirkungen des Shutdowns besonders augenfällig machen, wie Republikaner vermuten?

Von den fliegenden Händlern, die sonst in der Nähe der Museen für Naturkunde, Luft und Raumfahrt, Indianer oder der Nationalen Kunstgalerie Hotdogs, Basecaps oder T-Shirts verkaufen, ist keine Spur zu finden. Das touristische Herz der Hauptstadt zwischen Weißem Haus und Capitol schlägt im Moment nicht. Sogar die nur einen kleinen Fußmarsch entfernten Denkmäler unter freiem Himmel sind unzugänglich. Die Treppenaufgänge zum Lincoln- und zum Jefferson-Memorial sind mit Zäunen und teilweise mit Markierungsbändern wie am Tatort eines Verbrechens abgesperrt. Am Dienstagvormittag kam es hier, so berichten Medien, zu so etwas wie einer letzten Schlacht von Weltkriegs-Veteranen: 92 einstige US-Soldaten aus Mississippi waren eigens zur Besichtigung dieses Denkmals nach Washington eingeladen worden und wollten sich nicht damit abfinden, dass sie das Gelände direkt am Lincoln-Memorial nicht betreten sollten.

Die zumeist in Rollstühlen sitzenden Veteranen, die von Kongressabgeordneten begleitet waren, protestierten lautstark und gingen strategisch vor: In der Etappe verhandelten sie mit Polizisten. An der Front rüttelten sie an den Gittern und schoben sie schließlich auf. Die Polizei kapitulierte, und die einstigen Soldaten, allesamt in den 80er- und 90er-Lebensjahren, drangen in das Denkmal vor. „Veteranen kontrollieren Memorial“, lauteten Twitter-Meldungen im Stil einstiger Wochenschauen. Am Nachmittag sind die Absperrungen wieder errichtet.

Nachfrage bei einem leitenden Militär im Pentagon. Aktive Soldaten sind vom Shutdown ausgenommen. „Ich sitze an meinem Schreibtisch und werde weiter bezahlt. Aber die meisten Zivilangestellten hat man nach Hause geschickt, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen.“ Und die Stimmung im Verteidigungsministerium? „Hier gibt es eine Mischung aus Unmut und Resignation. Und Mitleid mit unseren zivilen Kollegen, von denen sich viele keine weiteren Gehaltsausfälle leisten können.“ Und, bitte, keinen Namen und Dienstgrad!

Am Abend ein Dinner mit Wirtschaftsleuten, je einem Kongressabgeordneten von Demokraten und Republikaner und einem republikanischen Senator. Überparteilicher Frust klingt an über beide Parteiführungen. Ja, die Bevölkerung habe bei den Wahlen für eine geteilte Regierung gestimmt, aber doch nicht für eine gelähmte Regierung. Und beide Seiten stimmen zu: Die USA tun sich mit diesem Government Shutdown keinen Gefallen. Jeden Tag fielen damit zig Millionen Dollar an Einnahmen etwa in den geschlossenen Nationalparks aus. Familien von Bundesbeamten und -angestellten gerieten in eine schlimme Situation, wenn sich ihre Zwangsbeurlaubung ohne Gehaltszahlung lange fortsetze. Aber wirklich dramatisch werde die Situation, falls nicht bis zum 17. Oktober, dem voraussichtlichen Stichtag, zu dem die Schuldenobergrenze angehoben werden muss, eine umfassende Einigung über den Haushalt erzielt sei.

Dann wird das Essen aufgetragen und der Wein eingeschenkt. Durchs Fenster fällt der Blick auf das abendlich angestrahlte Weiße Haus und das daneben liegende Finanzministerium. Draußen sieht alles normal aus. Aber zur Washingtoner Normalität gehört nicht erst seit der Verkündung des Government Shutdown leider der Stillstand.