Tagelang propagierte US-Präsident Obama einen Militärschlag gegen Syrien, nun hat die Diplomatie eine Chance

Washington. Nach Tagen, die auch für ihn kaum verwirrender sein konnten, fängt US-Präsident Barack Obama erst mal ganz von vorne an. Für seine Rede an die Nation stellt er sich im prächtigen East Room des Weißen Hauses ans Rednerpult und erklärt den Bürgern an den Fernsehschirmen: „Heute Abend möchte ich mit Ihnen über Syrien sprechen.“ Mit verständnissuchendem Blick erzählt er von dem Chemiewaffenmassaker am 21. August in dem Bürgerkriegsland. „Männer, Frauen, Kinder, die in Reihen liegen, getötet mit Giftgas, Schaum am Mund, um Luft ringend.“

Dann kommt er zur Sache: Ein Militärschlag sei geboten, sonst werde das Regime von Machthaber Baschar al-Assad keinen Grund sehen, sich von seinen Chemiewaffen zu trennen. Kurz und präzise soll der Schlag sein, ohne Bodentruppen. Aber auch nicht harmlos: „Das US-Militär macht keine Nadelstiche. Selbst ein eingeschränkter Schlag sendet eine Nachricht, die keine andere Nation liefern kann.“

Neu ist an dieser Beschreibung seiner Pläne überhaupt nichts. Aber das sagt Obama seinem Publikum erst im zweiten Teil der Rede. Nachdem sich die Ereignisse in den 24 Stunden zuvor überschlagen haben, wirkt die zweite Hälfte seiner Rede wie nachträglich angeklebt.

„Ermutigende Zeichen“ für eine friedliche Lösung seien in Sicht, sagt der Präsident. Ausgerechnet mit Kremlchef Wladimir Putin, der Obama zuletzt in der Affäre um den Spionage-Enthüller Edward Snowden hatte abblitzen lassen, will er nun einen Weg aus der Syrien-Frage suchen. Schon am heutigen Donnerstag soll Außenminister John Kerry nach Genf reisen, um mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow darauf hinzuarbeiten, dass Machthaber Assad sein Chemiewaffen-Arsenal ohne Einsatz des US-Militärs aufgibt.

Der Präsident fährt nach dem Zickzackkurs der vergangenen Tage jetzt zweigleisig. Diplomatie soll nun Hand in Hand gehen mit Drohgebärden. Die US-Kriegsschiffe in der Region können auf Befehl des „Commander in Chief“ sofort losschlagen. Zwar habe er den Kongress gebeten, die Abstimmung über den Militärschlag vorerst auf Eis zu legen. So ganz hat Obama den Finger damit aber noch nicht vom Abzug genommen. Alles dürfte davon abhängen, ob das zähe Ringen am Verhandlungstisch in den nächsten Tagen Erfolge bringt. Der Präsident muss seinem Volk eingestehen: „Es ist zu früh, um zu sagen, dass dieses Angebot zum Erfolg führt.“

Wie lange dieses „vorerst“ dauert, wie weit der diplomatische Weg ist, lässt Obama offen. Dass er offensichtlich gar keine Mehrheit für einen Truppeneinsatz im Kongress hat, deutet er in seiner 16 Minuten langen Rede hintergründig an. Und was passiert, wenn die erst seit Montag möglich scheinende diplomatische Lösung in sich zusammenfällt? Lässt Obama dennoch losschlagen, auch ohne Zustimmung durch den Kongress? Wartet er eine erneute Debatte der Parlamentarier ab? Mehr Fragen als Antworten habe Obama geliefert, heißt es in Kommentaren. Doch die Doppelstrategie scheint der einzige Weg aus dem Dilemma zu sein, eine Rede an die Nation halten zu müssen, während sich die politische Gemengelage fast im Stundentakt ändert.

Ein Quäntchen Hoffnung gibt es, dass Obamas Worte den Gegenwind zumindest im Inland gedreht haben könnten. 61 Prozent der Amerikaner sagten laut einer Blitzumfrage von CNN, dass sie Obamas neuen Ansatz unterstützen. Zuvor hatten die Umfragewerte klar gegen den Präsidenten und seinen Entschluss gestanden, Syrien militärisch zu attackieren.

Nun also schlägt die Stunde der Diplomatie, doch die Vorverhandlungen über eine Uno-Resolution erwiesen sich nach französischer Darstellung als schwierig: Russland erhebe Einwände gegen die vorgeschlagene scharfe Resolution gegen Syrien, hieß es. Einen Resolutionsentwurf hatte Frankreich bereits am Dienstag angekündigt. Eine ursprünglich anberaumte Sitzung des Sicherheitsrats wurde dann wenige Stunden später abgesagt. Aus französischen Regierungskreisen hieß es, bei Vorgesprächen habe Russland Einwände erhoben: nicht nur gegen die vorgesehene Androhung militärischer Gewalt zur Durchsetzung der Resolution, sondern auch gegen die vorgeschlagene Schuldzuweisung an die syrische Regierung für den mutmaßlichen Giftgasangriff bei Damaskus vom 21. August.

Die Einigung im Sicherheitsrat wird als Test für die Ernsthaftigkeit des russischen Vorschlags gesehen, die syrischen Chemiewaffenbestände unter internationale Kontrolle zu stellen. Denn bisher hat Russland im höchsten Uno-Gremium scharfe Maßnahmen gegen seinen Verbündeten Syrien stets verhindert. Der Zeitplan für die Verabschiedung der Resolution ist offen.

Russland überreichte den USA am Mittwoch einen Plan, wie Assads riesiges C-Waffen-Arsenal unter internationale Kontrolle gestellt werden könne. Die russische Nachrichtenagentur Interfax meldete unter Berufung auf einen Insider, dieser Plan solle bei dem Treffen der Außenminister Lawrow und Kerry am heutigen Donnerstag in Genf besprochen werden.

Die mit Spannung erwarteten Untersuchungsergebnisse der Uno-Inspektoren zu dem Giftgaseinsatz am 21. August in der Nähe von Damaskus sollen am Montag veröffentlicht werden, sagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn. Luxemburg gehört derzeit dem Sicherheitsrat als nicht Ständiges Mitglied an.

Bei den weiterhin erbitterten Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Aufständischen in Syrien kommt es unterdessen nach Uno-Angaben zu weiteren Kriegsverbrechen. Die Regierungstruppen hätten Zivilisten massakriert, Krankenhäuser bombardiert und andere Verbrechen begangen, berichteten Uno-Menschenrechtsinspektoren in Genf. Doch auch die Aufständischen begingen Kriegsverbrechen. Eine syrische Oppositionsgruppe berichtete, dass eine Rebellengruppe mit Verbindungen zu al-Qaida im Zentrum des Landes zwölf Alawiten getötet habe. Zur alawitischen Minderheit gehört auch Assad.