Achtungserfolg bei Regionalwahlen für Alexej Nawalny in Moskau. In Jekaterinburg wird der Oppositionelle Jewgeni Roisman Bürgermeister

Moskau. Als am Sonntagabend die Wahllokale in Moskau gerade geschlossen hatten, war am Bolotnaja-Platz im Stadtzentrum bereits alles vorbereitet, um den Sieg des amtierenden Bürgermeisters Sergej Sobjanin zu feiern. Wahlen in Russland bereiten dank staatlicher Lenkung seit Jahren keine Überraschungen mehr. Doch die Feier am Sonntagabend verzögerte sich, Gerüchte machten die Runde, dass sie gar abgesagt sei. Vor den Wahlen hatten Soziologen dem Regierungsmann Sobjanin einen Sieg mit knapp 60 Prozent vorhergesagt. Tatsächlich holte Sobjanin ganz knapp eine absolute Mehrheit von 51 Prozent. Sein größter Gegner, Anwalt und Anti-Korruptions-Blogger Alexej Nawalny, der zum ersten Mal an den Wahlen teilnahm, bekam 27 Prozent – mehr als man ihm zugetraut hatte. Am späten Abend kam Sobjanin doch noch auf die Bühne. Er ist kein flammender Redner, sondern ein Technokrat. Seit drei Jahren regiert er die Hauptstadt, nachdem er vom damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew ernannt wurde. Mit den Wahlen wollte er zeigen, dass er ein legitimer Bürgermeister ist. Der Kreml wollte beweisen, dass die Opposition auch bei fairen Wahlen eine demütigende Niederlage erleiden würde. Doch nun wählte Sobjanin seine Worte vorsichtig. „Die offiziellen Ergebnisse stehen noch nicht fest“, sagte er. „Aber ich bin sicher, dass wir am Ende gewinnen.“ Man könne schon stolz sein: „Wir haben die ehrlichsten und offensten Wahlen in der Geschichte Moskaus gesehen.“ Am Montag sagte er großzügig, er sei bereit, sich mit Nawalny zu treffen.

Für Alexej Nawalny bedeuten die 27 Prozent Erfolg und Anerkennung. Die föderalen Fernsehsender in Russland berichteten über ihn bislang nur im Zusammenhang mit umstrittenen Ermittlungen gegen seine Person. Im Juli wurde er wegen Veruntreuung zu fünf Jahren Haft verurteilt, ein Berufungsverfahren soll im Herbst beginnen. Doch binnen weniger Monate hat Nawalny viel Popularität gewonnen und unzufriedene Wähler mobilisiert. Immerhin auf die Teilnahme an einer Stichwahl hatte er gehofft. Dafür reichte es nicht.

In der Nacht zu Montag erklärte Nawalny, die Wahlen seien gefälscht. In Wirklichkeit habe Sobjanin weniger als 50 Prozent bekommen, damit sei eine Stichwahl nötig. „Wir werden nicht zulassen, dass man unsere Stimmen klaut“, sagte Nawalny und rief seine Anhänger zu Demonstrationen auf. Später erklärte er, mit Sobjanin verhandeln zu wollen, und forderte, die Stimmen aus allen umstrittenen Wahllokalen neu auszählen zu lassen. Bezweifelt hatte Nawalny eine gängige Praxis, bei der etwa Rentner und Menschen mit Behinderungen zu Hause abstimmten. Mitarbeiter der Wahlkommission und sozialer Dienste brachten ihnen Urnen nach Hause, allerdings stellte sich heraus, dass einige Rentner gar nicht zu Hause abstimmen wollten.

Bei einem knappen Sieg von 51 Prozent wird die Frage nach Manipulationen besonders heikel. Bei den Parlamentswahlen 2011 sahen Tausende Moskauer, die sich freiwillig als Wahlbeobachter engagierten, mit welch dreisten Methoden die Wahlen gefälscht wurden. Bei der Bürgermeisterwahl in Moskau gab es keine massenhaften Fälschungen wie 2011, doch ganz sauber waren sie nicht – zu diesem Schluss kam Golos, die bekannte Wahlbeobachterorganisation, die nach Putins neuem Gesetz über Nichtregierungsorganisationen zum „ausländischen Agenten“ erklärt und geschlossen wurde und nun in Form einer Bewegung weiterarbeitet. „Diese Wahlen waren ungewöhnlich“, sagte der stellvertretende Direktor von Golos, Grigori Melkonjants. Es habe eine reale Konkurrenz gegeben, und die Machthaber in der Stadt trafen überraschend Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz. Allerdings habe es trotzdem Unregelmäßigkeiten gegeben, „administrative Ressourcen“ seien benutzt worden, um solche Wähler zu mobilisieren, die mit großer Wahrscheinlichkeit für Sobjanin stimmen würden. Geschenke seien verteilt worden. Wähler fanden sich überraschend nicht in den Wahllisten. Die Stimmenzählung dauerte in einigen Lokalen ungewöhnlich lange. „Es gab keine groben Fälschungen, aber es gab wohl subtilere Methoden“, sagt Melkonjants. „Und auch kleinere Verstöße stellen Ergebnisse infrage.“

Ebenfalls am Sonntag wurden in Hunderten weiterer russischer Städte und Regionen Bürgermeister, regionale Parlamente und Gouverneure gewählt. In den meisten gewannen die Kandidaten der Regierungspartei Geeintes Russland. Nur vereinzelt konnte die Opposition Siege feiern wie etwa in der Stadt Petrosawodsk. Den größten Triumph gab es in der Stadt Jekaterinburg am Ural. Dort gewann Jewgeni Roisman, Kandidat der Partei Bürgerliche Plattform des Milliardärs Michail Prochorow die Bürgermeisterwahl. Roisman bekam 33 Prozent der Stimmen, sein Gegner von der Regierungspartei Einiges Russland, Jakow Silin, 30 Prozent. Hier reichte schon im ersten Wahlgang die einfache Mehrheit. Der Charismatiker Roisman wurde durch seine „Stadt ohne Drogen“ bekannt. In seinen Rehabilitationszentren bekämpft man Drogensucht mit umstrittenen Methoden – mit Gewalt und Handfesseln. Die Mafia-Gruppierung Uralmasch hat ihm angeblich in der Vergangenheit dabei geholfen, die Umschlagsorte des Drogenhandels zu „säubern“, schreibt die russische Zeitung „Kommersant“. Andere Medien sagen ihm noch engere Beziehungen zur Mafia nach, was er vehement bestreitet.

Bei den Wahlen in den Regionen gab es offenbar mehr Unregelmäßigkeiten als in Moskau. Insgesamt durften mehr Parteien und alternative Kandidaten antreten. Doch das brachte nicht überall mehr Interesse an der Wahl. Die Beteiligung in den Regionen lag bei etwa 30 Prozent, in Moskau bei 32 Prozent. Ohne Zweifel kommen in Russland Veränderungen, und es wird noch mehr Überraschungen bei den Wahlen geben, aber schnell ändert sich die Gesellschaft nicht.