Deutschland und Schweden nehmen mehr syrische Flüchtlinge auf als alle anderen europäischen Staaten. NRW ist Gast-Bundesland Nummer eins

Berlin. Wie wartet man während eines Krieges auf einen Krieg? Auf diese Frage gibt es in diesen Tagen so viele Antworten, wie es Syrer gibt. Sechs der 20Millionen Staatsangehörigen des vom Bürgerkrieg zerstörten Landes beantworten diese Frage von einem fremden Ort aus. Mehr als vier Millionen Syrer sind zu Binnenflüchtlingen geworden und suchen in anderen Gegenden des arabischen Landes Schutz vor den Kämpfen. Zwei Millionen Menschen sind über die Grenze geflohen, fast alle bleiben in Lagern der Nachbarstaaten, alleine im Libanon wurden 720.000 syrische Flüchtlinge registriert.

„Die Nachbarländer sind gesellschaftlich und wirtschaftlich unter extremem Druck. Es gibt Städte, in denen syrische Flüchtlinge die Mehrheit stellen“, beklagt der Uno-Flüchtlingskommissar António Guterres. Er fordert die europäischen Staaten auf, „die Last der Flüchtlinge gemeinsam mit den Nachbarn Syriens zu schultern, und alle, die kommen wollen, aufzunehmen“.

Davon ist der Kontinent weit entfernt: Etwa 45.000 syrische Staatsbürger haben seit Beginn des Krieges im März 2011 Asylanträge in Europa gestellt. Davon entfallen ein Drittel alleine auf Deutschland (15.500), je ein weiteres Drittel auf das kleine Schweden und auf alle anderen EU-Staaten zusammen. Franzosen und Briten etwa, zeigten sich zwar sehr offen gegenüber einer militärischen Strafaktion gegen Assad. Syrische Flüchtlinge hingegen heißen sie nur in geringem Umfang willkommen: Frankreich hat seit Ausbruch des Krieges weniger, Großbritannien etwas mehr als 2000 Syrer aufgenommen. Schweden ist das bisher einzige europäische Land, das der Forderung Guterres’ nachkommt: Vergangene Woche verkündete das Land, auf unbestimmte Zeit allen Asylanträgen syrischer Flüchtlinge stattzugeben.

Wegen des bevorstehenden Militärschlags und den sich voraussichtlich verschärfenden Flüchtlingsproblemen forderte Bundesminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Sonnabend eine europäische Flüchtlingskonferenz, um eine gemeinsame Antwort auf das Problem zu finden.

Eine erste Antwort hat Deutschland bereits im März gegeben: Zusätzlich zu den bereits aufgenommenen Asylbewerbern erklärte sich Deutschland bereit, ein Kontingent von 5000 syrischen Flüchtlingen aufzunehmen. Rund 250 dieser Syrer sind bereits individuell und auf eigene Rechnung nach Deutschland gereist und bei Verwandten untergekommen. Die meisten werden aber bis zum kommenden Frühjahr von der Bundsregierung mit Charterflugzeugen eingeflogen. Am Mittwochnachmittag wird der erste dieser Flüge in Hannover landen – mit etwa 110 syrischen Flüchtlingen aus dem Libanon an Bord. Flüchtlingskommissar Guterres lobt das Vorgehen der Bundesregierung: „Deutschland liefert ein wichtiges Beispiel mit seinem Aufnahmeprogramm für 5000 schutzbedürftige Syrer. Ich hoffe, dass mehr Staaten mit ähnlichen Entscheidungen den Menschen helfen, vor der Gewalt zu fliehen.“ Bisher haben in Europa neben den Schweden nur die Österreicher und Schweizer angekündigt, Flüchtlingskontingente wie Deutschland aufzunehmen. Die beiden Staaten wollen jeweils 500 Syrer ins Land lassen, sagte Uwe Telöken vom UNHCR, dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen.

In Deutschland werden die 5000 Kontingentflüchtlinge zunächst in Friedland bei Göttingen untergebracht und dann nach einem Schlüssel verteilt, der sich nach dem Steueraufkommen und der Einwohnerzahl der Länder richtet. Nordrhein-Westfalen werden mit 1060 die meisten Syrer zugeteilt, darauf folgen Bayern (760) und Baden-Württemberg (646). Bremen nimmt mit 47 Flüchtlingen am wenigsten auf. Ausgesucht wurden die 5000 Flüchtlinge von der UNHCR. Sie gelten als besonders schutzbedürftig. Deshalb müssen sie sich in Deutschland auch keinem Asylantragsverfahren unterziehen, erhalten eine Arbeitsgenehmigung und haben Anrecht auf Hartz IV.

Angesichts der sich verschärfenden Situation in Syrien und den überfüllten Lagern der Nachbarländer mehrten sich in der vergangenen Woche die Stimmen, die eine größere Aufnahmebereitschaft Deutschlands forderten.

Die Länder haben die Bereitschaft zu weiteren Anstrengungen schon einmütig signalisiert. Zusätzlich zu den 5000 Flüchtlingen aus dem Kontingent des Bundes wollen sie Syrer aufnehmen, die Familienangehörige in Deutschland haben. Diese müssen vorher eine Erklärung unterschreiben, dass sie für die Verwandten alle Kosten von der Unterkunft abdecken. Nordrhein-Westfalen möchte 1000, Baden-Württemberg 500 zusätzliche Syrer ins Land lassen. Die übrigen Länder nannten noch keine Zahlen, oder wollen dies wie Bayern oder Niedersachsen nicht tun – um zu signalisieren, dass es keine prinzipielle Grenze gibt.