Obamas Kehrtwende im Syrienkonflikt ist für Jerusalem ein Problem. Das angeschlagene Image der USA schadet auch dem Verbündeten

Tel Aviv. Offiziell ist es in Jerusalem sehr still. Premierminister Benjamin Netanjahu hat seine Minister darum gebeten, sich kritische Beurteilungen des amerikanischen Vorgehens und öffentliche Bemerkungen zur Syrienkrise überhaupt zu verkneifen. Wenn auch nur ein klein wenig der Eindruck entstünde, Israel versuche die USA zu einem Militärschlag zu drängen, könnte der bedrängte syrische Diktator Baschar al-Assad das als Vorwand nehmen, um Vergeltungsschläge gegen Israel zu rechtfertigen.

Hinter den Kulissen finden aber viele israelische Entscheidungsträger deutliche Worte für die Kursänderung des US-Präsidenten Barack Obama, der nun erst noch die Zustimmung des Kongresses einholen möchte, bevor er militärisch gegen das Assad-Regime wegen dessen vermutlichen Giftgaseinsatzes gegen die eigene Bevölkerung vorgehen will. Und auch die Zeitungskommentatoren sind weitgehend einer Meinung: Wenn Obama schon bei einem kleinen Militäreinsatz gegen Syrien schwanke, was werde er dann in der Iran-Frage tun, fragt der ehemalige hochrangige Mitarbeiter des Militärgeheimdienstes, Brigadegeneral Amos Gilboa, in der Zeitung „Maariv“. Das Konkurrenzblatt „Jedioth Achronoth“ sieht das ähnlich: „Wie werden die USA sich verhalten, wenn der Iran der Bombe näher kommt?“, fragt die auflagenstärkste seriöse Tageszeitung. Könne man sich wirklich auf die entschiedenen Statements des Weißen Hauses verlassen, dass der Iran keine Atomwaffen besitzen wird?

Es ist kein Zufall, dass sich die Analysen israelischer Medien auf die möglichen Konsequenzen von Obamas Zögern auf den Atomkonflikt mit dem Iran konzentrieren. Natürlich hat auch Israel ein Interesse daran, dass autokratische Regierungen der Region nicht den Eindruck gewinnen, der Einsatz von chemischen Kampfstoffen habe keine handfesten Konsequenzen. Sowohl Israel als auch Amerika haben ein Interesse daran, dass Washington im Nahen Osten nicht in den Ruf eines Papiertigers gerät, der seinen Drohungen keine Taten folgen lässt. Von einem hohen Abschreckungspotenzial der Amerikaner, verbunden mit politischer Glaubwürdigkeit, profitiert auch Israel.

Doch während die USA in der innersyrischen Auseinandersetzung zwischen einer von islamistischen Fundamentalisten durchsetzten Opposition und dem von der Terrororganisation Hisbollah und dem Iran-gestützten Assad nicht so richtig Partei ergreifen können, hat Israel das geringere der beiden Übel für sich ausgemacht: Hinter vorgehaltener Hand ist in Jerusalem zu hören, ein Sieg für Assad wäre die wahre Katastrophe. Gewiss beobachtet man mit Beunruhigung, wie sich mehrere Tausend islamistische Kämpfer auf den östlichen Golanhöhen sammeln, doch zumindest für Netanjahu und seine Vertrauten hat die Eingrenzung des iranischen Vormachtstrebens Priorität. Der nun entstandene Eindruck, die Amerikaner schreckten davor zurück, ihre militärische Macht zur Verwirklichung ihrer Interessen einzusetzen, sei für Israel fatal, sagt ein ehemaliger hochrangiger Militär. Allerdings sähe alles wieder anders aus, wenn Obama in drei Wochen doch einen Militärschlag anordnen würde: „Dann wäre er doch kein Drückeberger, sondern nur ein Politiker, der nach demokratischer Legitimierung strebte.“ Nach militärischen Gesichtspunkten glaube er nicht, dass ein Aufschub an den Erfolgsaussichten viel ändern würde. „Wir Israelis neigen zur Übertreibung. Es sollte ja eh nur um eine begrenzte Zahl gezielter Angriffe gehen, eine Strafaktion, um den erneuten Einsatz von chemischen Kampfstoffen zu verhindern“, sagt der Militär.

Auch Israels Präsident Schimon Peres sprang Obama zur Seite. Seine Möglichkeiten, vorsichtig abzuwägen, sei nicht dasselbe wie Stottern, sagte er dem Armeeradio. „Es ist in Ordnung, alle Möglichkeiten gründlich zu bedenken.“ Zudem vertraue er Obama „in allem, was Israel angeht“. Vielleicht versucht Obama das Problem der syrischen Chemiewaffen aber auch auf einem ganz anderen Weg zu lösen. Angeblich gibt es Geheimverhandlungen zwischen Washington, Moskau und Damaskus. Sollte Assad zustimmen, seine Chemiewaffenvorräte entweder unter internationaler Aufsicht zu vernichten oder sie nach Russland auszulagern, wäre ein Militärschlag mit dem Ziel, den erneuten Einsatz der Kampfstoffe durch Abschreckung zu verhindern, unnötig. Noch scheint diese Option nicht besonders realistisch, aber falls Obama nach einem kalkulierten Crescendo militärischer Drohungen am Verhandlungstisch erreichen sollte, dass Syrien sein Chemiewaffenarsenal freiwillig aufgibt, wäre das ein diplomatischer Erfolg, der den Eindruck von Zögerlichkeit vergessen machen dürfte.

Eine gewisse Wirkung haben die Drohungen schließlich schon gezeigt: Irans neuer Präsident Hassan Rohani verurteilte gleich mehrfach öffentlich den Einsatz von Chemiewaffen „überall auf der Welt“. Das war eine Warnung vor dem erneuten Einsatz jener Kampfstoffe, die man in Damaskus kaum überhört haben dürfte. Rohanis Vertrauter, der ehemalige Präsident Akbar Haschemi Rafsandschani, widersprach gleich der offiziellen iranischen Version und bezichtige Assad des Mordes an seinem Volk: „Die Bevölkerung war das Ziel eines Chemiewaffenangriffs ihrer eigenen Regierung und muss nun zudem noch auf einen Angriff von Fremden warten“, sagte er. Später hieß es aus seinem Büro, seine Aussage sei verzerrt wiedergegeben worden. Russland soll zudem die vereinbarten Waffenlieferungen von MiG-Kampfflugzeugen, S300-Luftabwehrraketen und Jak130-Trainingsflugzeuge eingefroren haben. Offiziell sei Syrien seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen – doch das hatte in Moskau bisher noch niemanden gestört.

Außenminister Sergej Lawrow bestand aber weiterhin darauf, er sei von den Beweisen, die die Amerikaner ihm vorgelegt hätten, nicht überzeugt worden, dass die Regierung von Präsident Assad für den Chemiewaffenangriff verantwortlich sei. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hingegen erklärte, er sei von dem Beweismaterial nicht nur überzeugt worden, dass ein Einsatz chemischer Kampfstoffe stattgefunden habe, sondern auch dass das syrische Regime die Verantwortung dafür trage. „Es würde ein gefährliches Signal an Diktatoren überall in der Welt senden, wenn wir untätig blieben und darauf keine eindeutige Reaktion fänden“, sagte Rasmussen.