Während der Westen Bombardements in Syrien vorbereitet, tobt Streit um die Deutung des Chemiewaffeneinsatzes

Washington. Die Vereinigten Staaten bereiten einen auf wenige Tage begrenzten Militärschlag gegen das syrische Regime vor. Laut US-Medien könnte der Angriff schon am Donnerstag erfolgen. Noch hat Präsident Barack Obama die endgültige Entscheidung nicht getroffen, war am Dienstagnachmittag zu hören; in der amerikanischen Hauptstadt heißt es aber, nur ein dramatisches Einlenken Präsident Assads oder Russlands könne den Angriff noch verhindern. Der Einsatz von Marschflugkörpern, die von US-Kriegsschiffen im Mittelmeer abzufeuern wären, und möglicherweise von Langstreckenbombern soll ausdrücklich eine Strafaktion für den Giftgasangriff und die Verletzung „internationaler Normen“ sein. Das Weiße Haus legt Wert darauf, dass ein Eingreifen der USA keine Parteinahme im Syrischen Bürgerkrieg bedeute. Ob diese Unterscheidung nach den Maßstäben des Internationalen Recht Bestand hätte, ist unklar.

Eine vollkommen zweifelsfreie Rechtfertigung eines Militäreinsatzes in Syrien wäre durch ein Mandat des Uno-Sicherheitsrats gegeben. Aber so einen Beschluss wird es nicht geben. Russland und China, die beiden Verbündeten Syriens, blockieren jede Entscheidung gegen Präsident Baschar al-Assad und sein Regime. „Wenn es keine Entscheidung des Sicherheitsrats gibt, dann muss man eben nach Alternativen suchen“, sagte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu am Wochenende. „36 oder 37 Länder diskutieren derzeit einen Einsatz“, so Davutoglu. Doch selbst, wenn die endgültige Entscheidung im Weißen Haus noch nicht gefallen ist – die Lufteinsätze in Kooperation mit Großbritannien und Frankreich werden bereits intensiv vorbereitet. Auf dem britischen Stützpunkt auf Zypern soll eine ungewöhnlich große Anzahl von Kampfjets gesichtet worden sein.

US-Außenminister John Kerry ist nicht als Hitzkopf bekannt, eher als besonders cool. Wenn er den Giftgaseinsatz in Syrien als „moralische Obszönität“ und „Schock für das Gewissen der Welt“ brandmarkt, dann beschreibt er damit auch die politische Grundlage, auf der Washington handeln dürfte: Strafe für den Bruch internationaler Normen. Eindringlich schilderte er Szenen von Familien, die im Schlaf starben. In Kerrys Stimme war so etwas wie echte Empörung zu spüren, nicht nur professioneller Zorn. Es war klar, dass die US-Regierung keinen Zweifel mehr hat an den Schuldigen für den Giftgaseinsatz. Kerry nannte ausdrücklich die Berichte der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ als Belege. Aber offenkundig verfügt die US-Regierung – ebenso wie angeblich Israel – über noch mehr Beweise, die sie mit Alliierten teilt. Dennoch will das Weiße Haus angeblich noch den Bericht der Uno-Inspektoren zum Giftgaseinsatz abwarten.

Regime beschuldigt die Rebellen, die Kampfstoffe eingesetzt zu haben

Ein Angriff scheint trotz allem imminent und nur eine Frage der Zeit zu sein. Die Inspektoren haben mindestens noch eine Woche in Syrien zu tun. Sie müssen zuerst Proben an den fünf Orten der mutmaßlichen chemischen Angriffe in der Region Ghouta bei Damaskus nehmen. Danach würde die Untersuchung drei weiterer Fälle stehen, die der ursprüngliche Anlass ihrer Mission war. Die Propagandamaschine des Regimes in Damaskus tut alles, um den Verdacht von sich abzulenken. Das syrische Staatsfernsehen zeigte Bilder von Tunneln, in denen die Rebellen angeblich Chemikalien für Kampfstoffe gelagert hätten. Libanesische Tageszeitungen meldeten, dass vier Kämpfer der schiitischen Hisbollah, die auf Seiten der syrischen Armee kämpft, mit Vergiftungen aus diesen Tunnels in einem Beiruter Krankenhaus behandelt werden.

Die Uno-Untersuchungskommission könnte mit ihrer Mission Aufklärung schaffen. Selbst wenn sie keine handfesten Beweise liefert, könnte sie weitere belastende Indizien liefern. Die Auswertung ihrer Untersuchungen können aber noch Wochen dauern. So lange wollen die USA, Großbritannien oder auch Frankreich scheinbar nicht warten. Man will möglichst bald Stärke beweisen und dem Assad-Regime handfeste Grenzen aufzeigen. Aber welche Optionen gibt es für einen Militärschlag gegen Syrien tatsächlich? Stellungen der syrischen Armee angreifen, ihre Panzer, Artillerie und die Luftwaffe ausschalten? In einer Nacht Hunderte von Zielen angreifen, wie einst in Libyen geschehen? Die Verbündeten Syriens, vorne weg Russland und Iran, sowie China, haben bereits vor „katastrophalen Folgen“ für die Region gewarnt.

Hisbollah soll über Raketen verfügen, die jeden Ort in Israel erreichen können

„Wer versucht, ohne ein Mandat des Uno-Sicherheitsrates wieder einmal mit vorgeschobenen Gründen eine Militärintervention zu rechtfertigen“, hieß es in einer Verlautbarung des russischen Außenministeriums, „der erhöht nur das Leiden in Syrien und anderswo.“ Einen vernichtenden Angriff westlicher Länder mit Hunderten von Marschflugkörpern auf die Regimetruppen werden die syrischen Verbündeten sicherlich nicht einfach hinnehmen. Die Hisbollah im Libanon, ein verlängerter Arm des Irans, hat angekündigt, jeden Einsatz von US-Raketen in Syrien rächen zu wollen. Ein nicht unrealistisches Szenario wären Angriffe auf Israel von der libanesischen Miliz. Sie soll über ein Raketenarsenal verfügen, mit dem sie Tel Aviv und jeden anderen Ort im „zionistischen Staat“ erreichen kann. Die Möglichkeit eines Angriffes auf Israel räumt auch der regimetreue Wissenschaftler Bassam Abu Abdullah von der Universität in Damaskus ein: „Israel ist der Repräsentant der USA in der Region und kann für die Aktionen seines großen Verbündeten verantwortlich gemacht werden.“

Obama und seine Sicherheitsberater werden die Ziele eines Angriffs genau abwägen, um eine Eskalation zu vermeiden. Das Militär Assads darf auch nicht entscheidend geschwächt werden, um einen womöglich raschen und überwältigenden Sieg der Rebellen zu vermeiden. Die radikalen al-Qaida-nahen Islamisten haben im Laufe des Jahres die Überhand unter den Rebellen gewonnen. Sie sind berüchtigt für Folter, Exekutionen und ihren Wunsch alle nicht-sunnitischen Minderheiten in Syrien auszulöschen.

Sollten diese Gruppen die Mittelmeerküste mit den Städten Latakia und Tratus erobern, ein Blutbad mit Tausenden von Toten wäre unausweichlich. Dort wohnen überwiegend Alewiten, eine schiitische Sekte des Islams, zu der auch Präsident Assad gehört.