Islamisten und Anhänger des gestürzten ägyptischen Präsidenten Mursi wollen nicht klein beigeben. EU stoppt Entwicklungsprojekte

Kairo. Ägypten droht ein langer und blutiger Machtkampf zwischen der islamistischen Muslimbruderschaft und der vom Militär eingesetzten Übergangsregierung. Dabei will sich die Regierung auch nicht durch westliche Kritik von ihrem harten Kurs gegen die Anfang Juli entmachteten Muslimbrüder abbringen lassen.

Die Regierung in Kairo kündigte eine Politik der „eisernen Faust“ an und diskutiert über ein Verbot der Islamistenorganisation. Als Konsequenz rief die Bruderschaft ihre Anhänger auch am Wochenende zunächst wieder zu Protesten auf. Am Sonntagnachmittag sagten Anhänger des gestürzten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi mehrere für den Tag geplante Protestmärsche aus „Sicherheitsgründen“ jedoch ab. Wie viele Kundgebungen gestrichen wurden, konnte eine Sprecherin nicht sagen. Ursprünglich waren neun Veranstaltungen geplant.

Die EU will ihre Beziehungen zu Ägypten rasch überprüfen. Seit der Räumung von zwei Protestlagern der Islamisten am Mittwoch sind nach offiziellen Angaben mindestens 750 Menschen Opfer der Gewalt geworden, darunter 57 Polizisten. Allein an dem von Islamisten ausgerufenen „Freitag der Wut“ starben nach Regierungsangaben 173 Zivilisten. Unter den Opfern ist auch ein Sohn des Oberhauptes der ägyptischen Muslimbruderschaft, Mohammed Badia.

Die Botschafter der 28 EU-Staaten beraten an diesem Montag in Brüssel über eine europäische Reaktion auf das Blutvergießen. „Die Gewalt und das Töten in den vergangenen Tagen können weder gerechtfertigt noch stillschweigend geduldet werden“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des EU-Ratsvorsitzenden Herman Van Rompuy und des EU-Kommissionschefs Josè Manuel Barroso vom Sonntag.

Darin werden zwar alle Seiten zur Zurückhaltung aufgefordert. Aber insbesondere die Armee und die von ihr eingesetzte Übergangsregierung sollten für ein Ende der Gewalt sorgen. Die EU forderte die neuen ägyptischen Machthaber zudem auf, alle politischen Häftlinge freizulassen. Außerdem will sich die EU weiterhin für ein Ende der Gewalt, einen politischen Dialog und die Rückkehr zu einem demokratischen Prozess einsetzen.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) habe ein ernstes Gespräch mit seinem ägyptischen Amtskollegen Nabil Fahmi geführt und an die Regierung appelliert, den Weg zu einer politischen Lösung nicht zu verbauen, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes.

Die Regierung in Kairo reagierte scheinbar unbeeindruckt auf alle Appelle. Außenminister Fahmi sagte am Sonntag vor der Presse in Kairo, seine Regierung habe die Aufgabe, Recht und Ordnung durchzusetzen. Davon werde sie sich auch durch die Streichung von Entwicklungshilfeprojekten nicht abbringen lassen. „Wir lehnen alle Drohungen, Hilfen zu streichen, ab“, fügte er hinzu.

Mehrere EU-Staaten, darunter auch Deutschland, haben bereits Finanzhilfen für staatliche Entwicklungsprojekte auf Eis gelegt.

Die Regierung gab Order, auf jeden zu schießen, der Gebäude verwüstet

Die vom Militär eingesetzte Regierung drohte, mit eiserner Faust gegen Terroristen vorzugehen. Der Vorsitzende der Übergangsregierung, Hasim al-Biblawi, schlug vor, die Muslimbrüder wieder verbieten zu lassen. „Es kann keine Versöhnung mit denen geben, an deren Händen Blut klebt“, sagte er. Dagegen warnte Italiens Außenminister Emma Bonino vor einem Verbot: „Die Konsequenzen wären verheerend. Es würde bedeuten, die Muslimbrüder in den Untergrund zu stoßen und die extremistischen Fraktionen zu stärken.

Wenn Ägypten in Chaos und Instabilität abgleitet, werden Schockwellen die gesamte Region erfassen“. Die Muslimbruderschaft war während der Amtszeit des 2011 gestürzten Präsidenten Husni Mubarak offiziell verboten. Ihre neu gegründete Partei für Freiheit und Gerechtigkeit ging aus der Parlamentswahl nach dem Sturz Mubaraks als stärkste politische Kraft hervor. Mohammed Mursi wurde 2012 als Kandidat der Muslimbrüder zum Präsidenten gewählt. Das Militär entmachtete ihn am 3. Juli.

Die Islamisten wollen trotz Drohungen, Festnahmen, Gewalt und Blutvergießen nicht klein beigeben. Die Muslimbruderschaft hatte ihre Anhänger zu Protesten in zwei Vororten von Kairo aufgerufen. Eine Kundgebung sollte vor dem Verfassungsgericht stattfinden.

Die Regierung hat den Sicherheitskräften nach Angriffen auf Polizeistationen und Verwaltungsgebäude in den vergangenen Tagen die Order gegeben, auf jeden, der öffentliche Gebäude verwüstet, zu schießen.

Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon verurteilte die Angriffe auf Kirchen, Krankenhäuser und öffentliche Einrichtungen. Dies sei inakzeptabel, heißt es in einer Erklärung Bans. Mustafa Hegasi, ein Berater von Übergangspräsident Adli Mansur, warf internationalen Medien währenddessen vor, sie berichteten nicht über die Gräueltaten militanter Islamisten wie beispielsweise bei der Erstürmung einer Polizeistation im Kairoer Bezirk Kerdasa, wo Offiziere getötet und ihre Leichen geschändet worden waren. Der Vorsitzende der Auslandspressevereinigung (FPA) und langjährige „Spiegel“-Korrespondent Volkhard Windfuhr schrieb in einer Botschaft an die Mitglieder, aggressive „Protestierende“ würden wahllos Menschen angreifen. Ein sogenannter friedlicher Demonstrant habe am Freitag auf der 15.-Mai-Brücke in Kairo auf ihn geschossen. Er habe die Attacke mit viel Glück unversehrt überlebt.

Nach Meinung des koptischen Bischofs herrscht keine Christenverfolgung

Dagegen bezeichnete die Menschenrechtsorganisation Amnesty International das Vorgehen der Sicherheitskräfte als völlig unangemessen: „Sie machten offensichtlich keinen Unterschied zwischen gewalttätigen und gewaltlosen Demonstrierenden.“

Trotz zahlreicher Angriffe auf christliche Kirchen in den vergangenen Tagen herrscht nach Darstellung des ägyptischen katholischen Bischofs Youhanna Golta derzeit keine Christenverfolgung im Lande. Unter den Muslimbrüdern litten „sowohl Christen wie Muslime“, sagte der koptisch-katholische Bischof aus Alexandria im Interview mit Radio Vatikan am Sonntag. Diese Islamisten attackierten unterschiedslos Kirchen, Schulen, Museen und andere Einrichtungen. Zwar nutzten sie „die Schwäche der christlichen Minderheit, um anzugreifen, um zu töten“, räumte Golta ein. „Aber unsere muslimischen Freunde, das heißt die Mehrheit der Muslime, hilft den Christen und unterstützt sie.“

Der 76-jährige Vertreter des koptisch-katholischen Patriarchen Ibrahim Sidrak wandte sich mit Nachdruck gegen eine besondere Aufmerksamkeit für die ägyptischen Christen. Die Gesellschaft Ägyptens dürfe nicht geteilt werden: „Die Vereinigten Staaten haben das nicht verstanden, auch nicht die Europäische Union.“