Die Revolution in Ägypten ist gescheitert, aber die Saat der Demokratie kann noch aufgehen

Die europäische Revolution des Jahres 1848 erfasste nach und nach mehr als ein halbes Hundert Staaten auf dem Kontinent, bevor die eiserne Faust von Militär und alter Aristokratie sie erstickte. Diese Revolution scheiterte zunächst – und doch legte sie den Keim für die späteren demokratischen Entwicklungen.

Diese historische Parallele zum verwelkten Arabischen Frühling zu ziehen ist vielleicht sinnvoller als jene viel bemühte zu den osteuropäischen Umwälzungen um 1990. Dass die arabischen Revolutionen von Tunesien bis Libyen bislang im Chaos stecken blieben, liegt nicht zuletzt daran, dass es zwar eine weitverbreitete Übereinstimmung darüber gab, die alten korrupten Kleptokratien zu stürzen, nicht aber darüber, durch was sie zu ersetzen seien. Es gibt eben keine demokratischen Traditionen oder Strukturen, auf die man sich stützen kann. Sie müssen erst mühsam entwickelt werden.

Besonders tragisch verläuft die Revolte in Ägypten, dem volkreichsten und neben Saudi-Arabien einflussreichsten arabischen Land. Es ist eine Tragödie der vertanen Chancen. In den Jahrzehnten der autokratischen Herrschaft des „Pharao“ Mubarak hatte sich am Nil keine Zivilgesellschaft entwickeln können und auch kein konstruktiver Gemeinsinn. Das trotzige Votum für die Muslimbrüder war Symptom dafür, dass die Ägypter von einer Regierung geführt werden wollten, die möglichst weit entfernt war von den alten Eliten – und auch möglichst weit weg von den USA, die Mubarak so lange im Sattel gehalten hatten. Es war eine folgenreiche Fehlentscheidung; die lange unterdrückten – und verbotenen – Muslimbrüder unter ihrem Präsidenten Mursi interessierten sich nicht für das Gemeinwohl oder die Rettung der maroden Wirtschaft, sondern für die Etablierung eines islamischen Gottesstaates.

Dass die Armee eingriff, um dies zu verhindern (und um ihre reichen wirtschaftlichen Pfründen zu sichern), ist nachvollziehbar und zugleich tragisch, da auf diese Weise die erste demokratisch gewählte Regierung per Militärputsch gestürzt wurde. Und das Militär zögerte keine Sekunde, die ihm anvertraute Chance zu verschleudern. Die Generäle hätten die Straßenproteste lediglich einzudämmen brauchen und währenddessen konstruktive Weichenstellungen zum Wiederaufbau vornehmen können. Dabei hätten die moderaten Kräfte der Muslimbrüder - von denen es zahlreiche gibt - in den politischen Konsolidierungsprozess eingebunden werden können. Doch leider setzten sich die Hardliner durch; die blutige Konfrontation mit den Muslimbrüdern hat Ägypten noch weiter zerrissen und zunächst jede Möglichkeit auf einen sozialen Frieden genommen. Das Verbot der Bewegung ist eine Kriegserklärung an erhebliche Teile des ägyptischen Volkes. Die Militärs wollen sicherstellen, dass die Muslimbrüder nie wieder die Chance bekommen, die Generäle zu entmachten. Damit treiben sie nun viele Islamisten in den Untergrund und damit in den terroristischen Widerstand.

Das repressive Vorgehen der Armee bringt die US-Regierung in die Bredouille. Ägypten wird von Washington vor allem deswegen mit jährlich 1,3 Milliarden Dollar alimentiert, weil es neben Jordanien das einzige arabische Land ist, das sich mit Israel arrangiert hat. In der US-Regierung ist man uneinig darüber, ob der Militärputsch die Demokratisierung rüde beendet oder ihr vielleicht noch eine neue Chance gegeben hat.

US-Präsident Barack Obama weiß, dass ein Stopp des dringend benötigten Geldflusses Ägypten noch tiefer ins Chaos stürzen würde. Zudem bindet dieses Geld die ägyptischen Militärs als gute Kunden an die US-Rüstungsindustrie. Und so lange hat Washington einen gewissen, wenn auch geschrumpften Einfluss auf Kairo.

Niemand weiß, wohin Ägypten derzeit treibt; von Militärdiktatur bis Bürgerkrieg ist alles möglich. Doch man kann wohl davon ausgehen, dass die Saat von Demokratie und Pluralismus auch am Nil gesät ist – auch wenn es noch Jahre oder gar Jahrzehnte dauern kann, bis sie endlich aufgeht.