Das höchste Gericht in Rom bestätigt Urteil gegen Italiens früheren Regierungschef Silvio Berlusconi wegen Steuerbetrugs

Mailand. In den dunkelsten Stunden denkt Silvio Berlusconi, 76, an den Fußball. 1988 trifft sein Club AC Mailand im Europokal der Landesmeister auf Roter Stern Belgrad. Die Jugoslawen führen, als das Spiel wegen Nebels abgebrochen wird. Es wird wiederholt, und die Mannschaft um den holländischen Stürmerstar Marco Van Basten setzt sich im Elfmeterschießen durch. Später gewinnen die Italiener das Finale und holen den Pokal erstmals nach zwei Jahrzehnten wieder in die Lombardei. Es ist der erste große Erfolg des AC Mailand in der Ära Berlusconi.

So viel Glück wie damals kann der Cavaliere jetzt auch gebrauchen. Es steht das Endspiel für seine politische Karriere an. In einem Palast an der Piazza Cavour unweit des Petersdoms brütete seit Dienstag das oberste Gericht Italiens über die Frage, ob Berlusconi rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung verurteilt wird. Am Donnerstagabend dann fällen die Richter Amedeo Franco, Claudio D’Isa, Ercole Aprile, Giuseppe De Marzo und Antonio Mura ihre Entscheidung – und die ist denkwürdig: Sie sprechen Berlusconi auch in letzter Instanz schuldig. Ein Glücksmoment wie das Fußballwunder 1988 bleibt aus.

Das höchste Gericht des Landes bestätigte damit die vierjährige Haftstrafe der unteren Instanz gegen den Medienzar. Es ist die erste definitive Verurteilung für den früheren italienischen Regierungschef nach vielen Prozessen.

Allerdings hat der 76-Jährige erst einmal Schonfrist, das Urteil wird nicht sofort vollstreckt. Zuerst muss das Gericht die Anwälte des Cavaliere schriftlich in Kenntnis setzen. Dann hat der Ex-Premier 30 Tage Zeit, Einspruch gegen die Strafmodalitäten zu erheben. Wegen der Sommerpause dürfte sich dieses Prozedere bis zum 15. Oktober hinziehen.

Ins Gefängnis muss Berlusconi wegen seines Alters wohl nicht. Da ihm drei der vier Jahre erlassen werden, wird er vermutlich unter Hausarrest gestellt werden und könnte die Strafe über Sozialarbeit ableisten. Das fünfjährige Verbot, öffentliche Ämter zu bekleiden, gaben die Richter an die Berufungsinstanz zur Neuverhandlung zurück. Dieses Ämterverbot sollte reduziert werden, hatte selbst die Anklagevertretung vor dem Gericht betont. Hätte es Bestand, würde Berlusconi seinen Sitz im Senat verlieren.

Der Richterspruch ist von historischer Bedeutung. Es könnte mit Berlusconi die dominante Figur der vergangenen zwei Jahrzehnte von der politischen Bühne Italiens drängen. Der Medienunternehmer hatte 1994 mit seiner aus dem Boden gestampften Bewegung Forza Italia gegen den Sozialdemokraten Achille Occhetto einen Erdrutschsieg geholt. Damals trat Berlusconi mit der Parole an, Italien vor den Kommunisten zu retten, und zelebrierte sich als Kämpfer für den Liberalismus. Die Botschaft „weniger Staat, tiefere Steuern“ verfing bei Freiberuflern, Handwerkern und Kleinunternehmern. Trotz aller Polemik, trotz mancher gebrochener Versprechen, trotz aller Kritik aus dem Ausland wählte diese Gruppe Berlusconi immer wieder, zuletzt bei den Parlamentswahlen Ende Februar.

Die Verurteilung Berlusconis könnte für Italien dramatische Folgen haben. Die Regierung von Premier Enrico Letta, 46, könnte stürzen. Letta steht seit April einer Großen Koalition zwischen Sozialdemokraten (Partito Democratico, PD) und der Berlusconi-Partei Popolo della Libertà (PDL) vor. Das Bündnis zwischen Mitte-Links und Mitte-Rechts ist ein unbefriedigender Kompromiss. Es ist nicht auszuschließen, dass der Pakt zerbricht.

Für die Währungsunion wäre ein Ende der Regierung Letta ein erhebliches Risiko. Italien ist angesichts seiner öffentlichen Verbindlichkeiten von rund 2100 Milliarden Euro und der schweren Rezession eines der größten EU-Sorgenkinder. In Brüssel und Berlin wird befürchtet, dass das Land im Fall einer politischen Krise den Kapitalmarkt verprellt und seinen Schuldenberg nicht mehr refinanzieren kann.

Berlusconi hat seit Jahren Ärger mit der Justiz. Aufsehenerregend ist der Ruby-Prozess. Dem Ex-Premier wird vorgeworfen, gegen Bezahlung Sex mit einer Minderjährigen gehabt zu haben und sein Amt missbraucht zu haben, um das zu vertuschen. In erster Instanz wurde er zu sieben Jahren Haft verurteilt. Das Mediaset-Verfahren, das ihm jetzt zum Verhängnis wurde, ist hingegen vergleichsweise technisch. Hier wurde Berlusconi unterstellt, durch den überteuerten Einkauf von Fernsehrechten in den Jahren 2002 und 2003 den Fiskus geprellt zu haben. Alles in allem dreht es sich um eine Summe von 7,3 Millionen Euro.

Was das Verbot öffentlicher Ämter anbetrifft, ist letztlich das italienische Parlament am Zug. Es muss darüber befinden, Berlusconi die Immunität abzuerkennen. Da Berlusconi Senator ist, ist dafür ein Ausschuss im Senat zuständig. Bis die Kommission eine Entscheidung fällt, dürften Monate vergehen. Somit ist es ist gut möglich, dass Berlusconi erst 2014 aus dem Kreis der Parlamentarier ausgeschlossen wird. Mag sich kurzfristig auch nichts ändern, so stellt das jetzige Urteil doch eine Zäsur dar. Es ist ein Symbol für all die enttäuschten Hoffnungen, die mit dem Berlusconismo verbunden waren und immer noch sind. Giovanni Orsina, Professor für Geschichte an der Universität Luiss Guido Carli in Rom, beschäftigt sich seit Jahren mit Berlusconi. Für ihn ist der Mailänder nicht nur ein Politiker, sondern auch Begründer einer bestimmten Denkhaltung.

Berlusconi habe in einem bipolaren Links-rechts-Schema gedacht und den Vorrang des Privaten vor dem Staat betont, schreibt Orsina in einem neuen Buch. „Im Berlusconismo steckt eine richtige Intuition. Eine Demokratie, in der die Linke und die Rechte sich abwechseln, um einer tugendhaften Elite zu erlauben, das Land zu modernisieren“, schreibt Orsina. Zudem habe der Berlusconismo angestrebt, den Druck, den der Staat auf die Bürger entfalte, zu mildern. „Diese beiden Optionen, die wichtige Lösungsansätze für die Probleme unseres Landes waren und immer noch sind, hat der Berlusconismo auf diskreditierende Weise verbraucht.“ Wer tritt an die Stelle Berlusconis? Orsina hält wie viele die Tochter Marina für die einzig würdige Nachfolgerin. Doch noch ist die Debatte spekulativ, da Marina Berlusconi bisher alle Meldungen über einen Eintritt in die Politik klar dementiert.