Der Haftbefehl gegen Ägyptens gestürzten Präsidenten und ein Aufruf zur Massendemonstration lassen die Emotionen hochkochen

Kairo/Alexandria. Bei Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern des abgesetzten ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi in der Hafenstadt Alexandria sind am Freitag drei Menschen ums Leben gekommen. Dutzende Personen wurden verletzt, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Mena. In der zweitgrößten Stadt des Landes waren Tausende Mursi-Getreue mit Demonstranten aneinandergeraten, die dem Aufruf von Armeechef Fattah al-Sissi gefolgt waren, sich mit dem Militär solidarisch zu zeigen.

Insgesamt stärkten Zehntausende Mursi-Gegner der Armee auf den Plätzen des Landes den Rücken. Aber auch die Muslimbrüder, aus deren Reihen der Islamist Mursi stammt, brachten landesweit Zehntausende Anhänger auf die Straße. Weitere Menschenmassen wurden am späteren Abend, nach dem Fastenbrechen im Ramadan, erwartet.

Die Emotionen schlugen auf beiden Seiten hoch. Am Sonnabendabend läuft ein 48-Stunden-Ultimatum des Militärs ab: Die Islamisten sollen sich bis dahin am sogenannten Versöhnungsprozess beteiligen – sonst drohe eine härtere Gangart.

Flugblätter mahnten am Freitagvormittag „Keine Gewalt!“

Die über die Medien verbreitete Aufforderung hatte den Titel „Letzte Chance“. „Hiermit haben die Unterstützer von Mursi eine letzte Möglichkeit, ihre Proteste einzustellen“, stand auf Flugblättern, die über den Rabia-al-Adawia-Platz vor der großen Moschee im Nasser-Viertel in Kairo abgeworfen wurden. Der vorsorglich in den Untergrund geflüchtete Chef der Muslimbruderschaft, Mohammed Badie nannte die Drohungen des Militärs „so schrecklich wie eine Zerstörung der Heiligen Stätten in Mekka“.

Mursi, der bisher vom Militär an einem unbekannten Ort festgehalten wurde, sitzt nun auf richterliche Anweisung formell in Untersuchungshaft. Dies heizte die Konfrontation zwischen Anhängern der Armee und Mursis zusätzlich auf. Der Haftbefehl gegen den Ex-Staatschef sei wegen dessen mutmaßlicher Kontakte zur radikalislamischen Hamas erlassen worden, die ihm angeblich bei seinem Ausbruch aus dem Gefängnis 2011 geholfen haben soll, berichtete Mena. Demnach soll Mursi vorerst 15 Tage lang inhaftiert bleiben – zum Entsetzen der Muslimbrüder im Nasser-Viertel Kairos in ihrem Kampf gegen die Absetzung und gegen „die Rückkehr zur alten Mubarak-Diktatur“. Im Zentrum dagegen jubelten die vom Militär aufgerufenen Gegendemonstranten über die Festnahme. Sie erwarten „die Abwehr eines drohenden islamistischen Terrorregimes“.

„Keine Gewalt!“ hatte die Armeeführung noch am Freitagmorgen an alle Demonstranten als Losung ausgegeben. Doch die Umwandlung des Arrests in Untersuchungshaft kann nicht als deeskalierende Maßnahme gesehen werden. Die gleichzeitige Drohung von Verteidigungsminister Abdel-Fattah al-Sissi, „hart gegen jede Art von Gewalt durchzugreifen“, klang daher nicht überraschend.

Seit dem Sturz Mursis am 3. Juli starben bei Krawallen rund 200 Menschen. Seitdem sitzt Mursi in Militärgewahrsam. Zweifel sind bei der Anklage nicht an den zugrunde liegenden Tatsachen angebracht, doch daran, wie weit sie sich zu einem Straftatbestand verdichten lassen. Mursi konnte im Februar 2011 aus dem Gefängnis Natrun im Norden Kairos flüchten während der damals herrschenden Unruhen infolge der Proteste gegen Mursis Vorgänger Husni Mubarak.

Zum Teil hatten da schon Vollzugsbeamte ihren Dienst aus Protest gegen Mubarak quittiert. Zum Teil aber auch, weil bewaffnete Angreifer von außen die Tore gewaltsam gesprengt hatten. Mursi war mit Tausenden anderen Insassen mehrerer Gefängnisse Nutznießer dieser Aktionen. Ihm aber Urheberschaft oder gar die eigenhändige Tötung wachhabender Polizisten nachzuweisen dürfte in einem fairen Verfahren schwer sein. Die Angriffe auf die Gefängnisse wurden von den Medien damals Kämpfern der mit den ägyptischen Moslembrüdern verbündeten islamistischen Hamas-Bewegung aus dem Gazastreifen zugeschrieben.

Es war wohl ein Versuch, die Empörung umzulenken, dass am selben Tag des Haftbefehls gegen Mursi die Staatsanwaltschaft in Kairo Anklage gegen drei mutmaßliche israelische Spione erhob. Einer davon ist Hafenangestellter in Port Said, die anderen angeblich Mossad-Agenten. Am Freitag wurden alle Einrichtungen der Sicherheitskräfte und strategisch wichtige Gebäude in und um Kairo unter verstärkte Bewachung gestellt.