Sechs Minister haben Ägyptens Regierung bereits verlassen. Die US-Regierung ist in großer Sorge

Jerusalem/Kairo. Noch weigert sich Ägyptens Präsident Mohammed Mursi standhaft, der Forderung der Menschenmassen auf den Straßen des Landes nach seinem Rücktritt nachzugeben. Doch seine Regierung ist längst in der Auflösung begriffen. Fast stündlich berichten ägyptische Medien von neuen Rücktritten. Sechs Minister haben bisher das Weite gesucht, darunter auch Außenminister Mohammed Kamel Amr. Am Montagabend hatte Mursis Sprecher Omar Amr noch versucht, die angriffslustige Presse von der Dialogbereitschaft des Präsidenten zu überzeugen. Einen Tag später warf er das Handtuch, der Kabinettssprecher folgte auf dem Fuße.

Der Fernsehsender al-Arabiya berichtete, Mursi und sein Ministerpräsident Hischam Kandil hätten zehn Rücktrittsgesuche von Ministern abgelehnt. Kurz darauf hieß es im selben Sender, Kindal soll selbst seinen Rücktritt eingereicht haben. Das war dann wohl doch eine etwas voreilige Meldung, doch die Tendenz ist deutlich: Wenn zur Krisensitzung des Kabinetts ausgerechnet die Minister der Verteidigung und des Inneren fehlen, ist es kaum mehr verwunderlich, dass im Präsidentenpalast langsam Panik ausbricht.

Es gibt Gerüchte über eine geplante Volksabstimmung zu Mursis Verbleib im Amt. Draußen gehen derweil die Unterstützer des Präsidenten mit Schildern und Stöcke schwingend auf die Straße. Fast ein wenig stolz verbreitete das Präsidialbüro am Dienstag ein Foto von den Beratungen Mursis mit seinem Ministerpräsidenten und dem Verteidigungsminister. Schaut, es haben noch nicht alle das sinkende Schiff verlassen, schien die Botschaft zu sein.

Doch in der Mehrheit ist die Opposition. Millionen Menschen waren am Sonntag den Aufrufen gefolgt und hatten in zahlreichen Städten des Landes gegen die Regierung protestiert. 16 Menschen sind bei Zusammenstößen bisher ums Leben gekommen. Von einem „Vulkan der Wut“ schrieb die staatlich Zeitung „al-Achbar“ am Montag. Die Wut richtete sich nicht nur gegen den Präsidenten, sondern auch gegen die islamistische Muslimbruderschaft, aus deren Reihen Mursi stammt. Das Hauptquartier der Organisation in Kairo wurde gestürmt und teilweise zerstört, auch die Büros der Wasat-Partei – die ebenfalls den Islamisten nahesteht – wurden angegriffen. Auf dem Tahrir-Platz soll es allerdings wieder massiv zu sexuellen Übergriffen gekommen sein, eine niederländische Journalistin soll nach einer Massenvergewaltigung durch fünf Männer in ein Krankenhaus eingeliefert worden sein. In der Industriestadt Suez kam es auch am Dienstag wieder zu Schusswechseln. Und in Kairo versammelten sich erneut Hunderttausende Mursi-Gegner auf dem Tahrir-Platz.

Selbst eine Kabinettsumbildung würde die Demonstranten nicht besänftigen

Dem Präsidenten bleibt wenig Raum zum Manövrieren. Nachdem ihm fast stündlich weitere Minister abhandenkommen, würde eine Kabinettsumbildung und die Ernennung eines neuen Ministerpräsidenten die Wut der Demonstranten kaum besänftigen. Wahrscheinlich würde mittlerweile nicht mal die Ankündigung von Neuwahlen einen Dialog zwischen den Fraktionen ermöglichen. Der Handlungsdruck für Mursi aber nimmt zu: In einer überraschenden Erklärung hatte Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi am Montag den Präsidenten öffentlich dazu aufgefordert, den „Forderungen des Volkes nachzukommen“. Ansonsten müsse das Militär einen „Fahrplan für die politische Zukunft Ägyptens“ durchsetzen. War das die Ankündigung eines Militärputsches? Im Präsidentenpalast war man überrascht: Die Streitkräfte hatten den Präsidenten nicht zuvor informiert.

Die „Rebellen“ der Gruppe Tamarod haben es zwar geschafft, ihre Forderung nach Neuwahlen und einem Rücktritt des Präsidenten mit beeindruckenden 22 Millionen Unterschriften zu untermauern, eine politische Alternative haben sie bisher aber nicht aufgezeigt. Zwar hat der Zusammenschluss der Oppositionsbewegung vom 30. Juni sich nun darauf geeinigt, Mohammed al-Baradei, den ehemaligen Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, zu ihrem Sprecher zu machen. Doch verbindet den Nobelpreisträger al-Baradei wenig mit den revolutionären Fußballfans Ultras-Ahlawy mit ihrem Hang zum Straßenkampf. Die Demonstrationen hatten ein Ziel, darüber hinaus haben sie die Opposition nicht geeint.

Hinzu kommen prinzipielle Erwägungen darüber, wie leicht es in einer Demokratie eigentlich sein darf, dem möglicherweise umstrittenen, aber immerhin demokratisch gewählten Präsidenten die Legitimität abzusprechen? Genau das aber tut die Nationale Rettungsfront in ihrer „Revolutionären Erklärung“: Das ägyptische Volk setze die Revolution fort und werde „seinen Willen durchsetzen, der auf allen ägyptischen Plätzen unmissverständlich deutlich geworden ist“, heißt es dort.

Auch US-Präsident Barack Obama scheint die Sorge zu teilen, dass die Ägypter sich nicht nur ihres Präsidenten entledigen, sondern dabei auch gleich ihre fragilen demokratischen Strukturen beschädigen könnten. Bei einem Telefongespräch, das Obama während seiner Afrikareise mit Mursi führte, habe er diesen aufgefordert, auf die Demonstranten einzugehen, teilte das Weiße Haus mit. Obama habe deutlich gemacht, dass die Krise nur durch einen Dialog überwunden werden könne. Mursi müsse alle Seiten einbeziehen. Dafür könnte es in Ägypten aber zu spät sein.