Im syrischen Bürgerkrieg wird die radikalislamische Miliz zu einem wichtigen militärischen Faktor. Assad gibt Friedenskonferenz keine Chance

Hamburg/Damaskus. Bei einem geheimen Krisentreffen gab Ali Sayed Khamenei, Irans Revolutionsführer und oberste geistliche Instanz, seinem Gast Hassan Nasrallah einen folgenreichen Befehl: Der Fall des syrischen Regimes von Baschar al-Assad sei, „koste es, was es wolle“, zu verhindern. Unter anderem seien die Nachschubwege der syrischen Rebellen zu blockieren.

Für Hassan Nasrallah, den Führer der libanesischen Hisbollah, hatte dieser Befehl eine religiöse Bindungskraft, wie die kuwaitische Zeitung „Araa“ unter Berufung auf einen hohen arabischen Diplomaten berichtete. Die berüchtigte „Partei Gottes“, von westlichen Staaten als Terrororganisation eingestuft und stärkste militärische Kraft im Libanon, ist inzwischen mit durchschlagender Wirkung im Syrien-Krieg engagiert. Damit steigt das Risiko einer Ausweitung des Krieges auf Israel, den Libanon und auf Jordanien.

Die Miliz, die aufgrund der jahrelangen Gefechte mit der israelischen Armee aber über sehr kampferfahrene Soldaten verfügt, hat nach Angaben von „Araa“ eine große Anzahl hoch trainierter Kämpfer nach Syrien geschickt, die bei der Belagerung und offenbar weitgehenden Einnahme der Rebellenhochburg al-Kusayr eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Während Assads Luftwaffe die Stadt pausenlos bombardierte, drangen Nasrallahs Kämpfer in die Bastion der Rebellen ein. Deren Stärke wird auf rund 7000 Mann geschätzt. Über Pfingsten soll es mehr als 300 Tote und Hunderte Verletzte gegeben haben, darunter viele unbeteiligte Zivilisten. Auch bis zu 30 Hisbollah-Känpfer sollen getötet worden sein.

Bis zu 40.000 Menschen sollen noch in al-Kusayr leben, abgeschnitten durch die Belagerer und dem Bombardement hilflos ausgesetzt.

Die Schlacht um al-Kusayr gilt als einer der härtesten im zweijährigen blutigen Ringen um die Macht in Damaskus. Nach einem Bericht der „New York Times“ gilt der Kampf um al-Kusayr Experten sogar als möglicher Wendepunkt im Krieg. Al-Kusayr liegt an einer strategisch wichtigen Versorgungsroute nach Damaskus. Zudem benötigt Assad die Region als Verbindungsachse zwischen den Hisbollah-Hochburgen in der libanesischen Bekaa-Ebene und den Alawiten-Bastionen an der syrischen Mittelmeerküste.

Die „New York Times“ zitierte einen Rebellen mit der Einschätzung, in al-Kusayr entscheide sich „das Schicksal des Regimes und der Revolution. Wenn al-Kusayr fällt, wird dies das Ende der Revolution in (der syrischen Schlüsselprovinz) Homs sein“. Al-Kusayr ist nur rund zehn Kilometer von der jordanischen Grenze entfernt. Die Kämpfe haben längst auch die jordanische Führung alarmiert. Informationsminister Mohammed Momani sagte, das haschemitische Königreich würde „keinen Elementen erlauben, die Grenze zu durchbrechen“. Eine in Jordanien beheimatete Salafistengruppe, die aufseiten der Rebellen in Syrien kämpft, warnte, falls die Hisbollah die Grenze nach Jordanien überschreite, werde sie „in einem lodernden Feuer brennen“.

Nun ist die Hisbollah eine schiitische Miliz und wird vom schiitischen Iran und von Syrien mit Waffen versorgt. Die in Damaskus herrschende Assad-Dynastie gehört der Minderheit der Alawiten an, die aus dem schiitischen Islam entstanden sind. Die Mehrheit der Syrer sind Sunniten.

Das Vordringen der Hisbollah in Syrien beunruhigt nicht nur Israel und das sunnitische Jordanien, sondern auch die sunnitische Führungsmacht Saudi-Arabien, die Irans schärfster Rivale um die islamische Vormacht in der Region ist. Die sunnitischen Golf-Staaten liefern den Rebellen Waffen und Ausrüstung. Doch der Vormarsch von Hisbollah und syrischer Armee — die von Russland mit Waffen versorgt wird — erschwert dies zunehmend.

Die Rebellen leiden außer an Nachschubproblemen vor allem an einer eklatanten Uneinigkeit. Während die Armee und die Hisbollah zwei relativ geschlossene Blöcke darstellen, zerfallen die Oppositionstruppen in etliche unterschiedliche, ideologisch zum Teil sogar verfeindete Gruppierungen.

Baschar al-Assad will offenbar Fakten schaffen, bevor es doch noch zu einer möglichen internationalen Konferenz zum Syrien-Krieg kommt. Bislang sperrt sich der Despot dagegen — wohl wissend, dass ihn ein internationales Friedensabkommen am Ende die Macht kosten könnte. Assad verwarf jedenfalls in einem Interview die Idee einer von den USA und Russland initiierten Konferenz in Genf im nächsten Monat. „Sie glauben, eine politische Konferenz wird den Terrorismus im Lande beenden“, sagte der Präsident mit Blick auf die Rebellen. „Das ist unrealistisch.“ Baschar al-Assad hatte die Macht in Syrien im Jahre 2000 durch den Tod seines langjährig herrschenden Vaters Hafis al-Assad geerbt, der Aufstände ebenfalls durch große Brutalität und Massaker niedergeschlagen hatte.

„Wir glauben, dass viele westliche Länder keine wirkliche Lösung in Syrien wollen“, sagte Assad und lehnte einen Rücktritt ab. Das Gegenteil ist richtig: Der Westen — und inzwischen auch Syriens alter Verbündeter Moskau — will Stabilität im Land. Wobei der Westen sich dies nur ohne Assad vorstellen kann und Russland am Regime festhält — noch. Doch die mögliche Ausweitung des Konflikts in einen regionalen Flächenbrand sowie die unerfreuliche Option, dass Syrien zerfallen und radikalislamische Gruppen, verbündet mit al-Qaida, Zugriff auf Syriens erhebliches Chemiewaffenarsenal bekommen könnten, besorgen auch den Kreml.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu, der bereits Nachschubbasen und Konvois der Hisbollah in Syrien bombardieren ließ, erklärte, sein Land bereite sich auf „jedes mögliche“ Szenario vor. „Wir werden handeln, um auch in Zukunft die Sicherheitsinteressen der israelischen Bürger zu gewährleisten“, sagte der Ministerpräsident.

Nach einem Bericht der Londoner „Sunday Times“ hat Assad Syriens modernste Boden-Boden-Raketen vom Typ „Tischrin“ gegen Israel in Stellung gebracht. Das Militär habe die Anweisung, sie im Falle neuer israelischer Luftangriffe abzufeuern.