Finanzminister noch uneinig bei Schlupflöchern. „Hoeneß-Effekt“ beschert Niedersachsen wohl 1000 Selbstanzeigen

Brüssel/Hannover. Wenn in Brüssel gerade mal kein Land akut vor der Pleite gerettet werden muss, sprechen die EU-Staats- und Regierungschefs gerne über sogenannte Strategiethemen. So wird es auch beim Gipfel an diesem Mittwoch sein, wo der Kampf gegen die grenzüberschreitende Steuerflucht und die gemeinsame Energiepolitik auf der Tagesordnung stehen. Zum Abschluss des „Steuergipfels“ wird es keine Jubelerklärung geben. Denn die EU-Finanzminister schafften es nicht, sich auf eine Verschärfung der europäischen Zinsbesteuerung zu einigen. Damit sollen weitere Steuerschlupflöcher geschlossen werden.

Der Gipfel wird sich vermutlich vor allem auf Appelle beschränken. „Wir brauchen diesen neuen Impuls des Europäischen Rats“, meint EU-Kommissionschef José Manuel Barroso. Luxemburg und Österreich, die bisher das EU-Bankgeheimnis für Ausländer wahrten, sind bei der Ausweitung des Zinssteuergesetzes nicht zu schnellen Schritten bereit. „Wir müssen den weiteren Verlauf abwarten, bevor wir die Grundlage erweitern“, lautet das Credo des luxemburgischen Premiers Jean-Claude Juncker.

Der SPD-Europaparlamentarier Udo Bullmann dringt hingegen auf mehr Tempo: „Der EU-Gipfel muss Steuerschlupflöcher schließen.“ Die bisherigen Regelungen bei der Zinssteuer seien löchrig „wie Schweizer Käse“. Künftig sollen beispielsweise auch Zahlungen an Treuhandvermögen oder Stiftungen erfasst werden. Große Länder wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien dringen darauf, noch deutlich weiterzugehen und den automatischen Informationsaustausch auf alle Kapitalerträge – dazu gehören auch Dividenden – zum Standard zu machen.

Eine Debatte über den weiteren Kurs bei den Defizitverfahren wird es erst im Juni geben. Zuvor wird EU-Währungskommissar Olli Rehn am 29. Mai die revidierten Sparziele für die Staaten ausgeben. Vorab verriet der stille Finne, dass Frankreich und Spanien zwei Jahre mehr zum Sparen erhalten sollen. Frankreichs Staatspräsident François Hollande versprach als Gegenleistung schon einmal eine Rentenreform.

Der von schlechten Umfragewerten belastete Staatschef geht nach langem Zögern in der Europapolitik in die Offensive. Er nimmt dazu die alte französische Idee einer Wirtschaftsregierung für die Euro-Zone wieder auf. Dazu gehören nach Vorstellung des Élyséepalastes letztlich auch ein gemeinsames Budget für die 17 Euro-Länder – und gemeinsame Schulden. Berlin will jedoch von den berüchtigten „Eurobonds“ bisher nichts wissen.

Wie ernst die Lage beim Thema Steuerflucht und grenzüberschreitende Hinterziehung ist, belegt der prominenteste Fall aus Deutschland. Nach dem Bekanntwerden der Affäre um den FC-Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß sowie nach weiterem Ankauf von Steuer-CDs steigt die Zahl der Selbstanzeigen rasant. „Ich denke, dass wir nur in Niedersachsen innerhalb der nächsten vier Wochen auf über 1000 Selbstanzeigen kommen werden“, sagte Landesfinanzminister Peter-Jürgen Schneider (SPD) im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Das Thema wird ebenso wie die Haushaltssituation an diesem Donnerstag bei der Konferenz der Finanzminister in Wiesbaden im Zentrum stehen.

„Wir haben einen deutlich verstärkten Eingang von Selbstanzeigen, das beschleunigt sich zunehmend“, sagte Schneider. „Wir reden hier über dicke Fische.“ Von der jüngst von Rheinland-Pfalz angekauften neuen CD sei gerade mal ein Prozent ausgewertet und an die einzelnen Bundesländer zur Prüfung gegeben worden. Jeder der in Niedersachsen überprüften Fälle habe ein Potenzial von mindestens einer Million Euro: „Nach unserer Einschätzung ist da erhebliche Substanz drin.“

Bereits die alten Steuersünder-CDs, die mittlerweile zu 90 Prozent ausgewertet seien, hätten Niedersachsen 146 Millionen Euro in die Kassen gespült. „Das könnten aber auch noch 160 oder 170 Millionen Euro werden“, fügte Schneider hinzu. Der jahrelange Ankauf von Steuersünder-CDs hat nach seiner Ansicht neue Dynamik in die Debatte um Steuerehrlichkeit gebracht. „Ausgehend von den CDs ist da eine Lawine in Gang gebracht worden.“

Auch Nordrhein-Westfalen will im Kampf gegen Steuerbetrüger weiter Daten ankaufen. Er wolle den Druck auf die Schweiz und andere Länder, die nicht zum Austausch von Steuerdaten bereit seien, aufrechterhalten, sagte der Finanzminister Norbert Walter-Borjans der Nachrichtenagentur Reuters. „Solange auf den CDs noch verwertbare werthaltige Hinweise zu finden sind, scheint das Regelwerk nicht ausreichend zu sein.“ Die nordrhein-westfälische Landesregierung hatte mehrfach Datenträger mit Informationen über Steuerhinterzieher aufgekauft und den Widerstand im Bundesrat gegen ein von der Bundesregierung mit der Schweiz ausgehandeltes Steuerabkommen angeführt. Das Datenmaterial stammt dem Ministerium zufolge von Banken wie Credit Suisse, Julius Bär, Coutts und Merrill Lynch.