Pjöngjangs einziger Verbündeter China ist erzürnt über die Atompläne Nordkoreas. Worum geht es Kim Jong-un wirklich?

Berlin/Peking. Hong Lei mahnte zur Ruhe, doch dem Sprecher des chinesischen Außenministeriums war seine eigene innere Unruhe anzumerken. Der schwierige Verbündete in der unmittelbaren südasiatischen Nachbarschaft hatte gerade verkündet, seinen nach erfolgreichen Verhandlungen im Jahre 2007 abgeschalteten Fünf-Megawatt-Reaktor im Nuklearzentrum Yongbyon wieder in Betrieb nehmen zu wollen. In diesem Meiler hatte Nordkorea bis zu dessen Stilllegung im Jahr 2007 waffentaugliches Plutonium hergestellt.

Die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA meldete unter Bezug auf einen Energiesprecher, die Maßnahme sei Teil einer Politik der „qualitativen und quantitativen Stärkung der atomaren Streitkraft“ und diene dazu, die „akute“ Energielücke zu schließen. „Die Situation auf der Halbinsel ist derzeit heikel und schwierig“, sagte der beunruhigte Herr Hong in Peking. Sein Land „bedauere“ die Entscheidung in Pjöngjang. Das ist in den internationalen diplomatischen Sprachmustern schon nahe an einer Warnung, den Bogen nicht zu überspannen.

Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon zufolge befinde sich Nordkorea auf einem „Kollisionskurs mit der internationalen Gemeinschaft“. Die aktuelle Krise sei „bereits zu weit gegangen“, sagte Ban, „das ist kein Spiel“. Doch es ist kaum anzunehmen, dass Nordkoreas Diktator Kim Jong-un auf die Vereinten Nationen hören wird, deren oberster Chef ausgerechnet aus Südkorea stammt.

Washington will diesen Konflikt nicht eskalieren, sich aber von ihm auch nicht überraschen lassen. Der Raketenzerstörer „USS Fitzgerald“ bleibt auch nach gemeinsamen Militärmanövern mit dem verbündeten Südkorea in der Region und wird nicht in seinen Heimathafen in Japan zurückkehren. Jay Carney, Sprecher des Weißen Hauses, orakelte, es gäbe keine Anzeichen dafür, dass Nordkorea seine militärischen Drohungen gegen Südkorea und die USA tatsächlich in die Tat umsetzen wolle. Aber sicher ist man sich da offenbar nicht: Zwei Jets des Typs F-22 Raptor ergänzten die Präsenz der US-Airforce in Südkorea. In der vergangenen Woche hatten die USA zwei Tarnkappenbomber und zwei atomwaffenfähige B-52-Bomber nach Südkorea geschickt. Der Lenkraketenzerstörer „USS John S. McCain“ komplettiert die kleine, aber beeindruckende US-Streitmacht im südchinesischen Meer.

Worum geht es dem jungen Diktator? Um Augenhöhe mit den USA vielleicht, aber nicht unbedingt um ein besseres Verhältnis zur Weltmacht. So sieht man es jedenfalls im US-Außenministerium. „Wir haben ihnen alles, wonach sie verlangen, bereits zugesagt“, sagt ein Diplomat, der mit den Verhandlungen vertraut ist. „Sie legen keinen Wert auf ein besseres Verhältnis zu den USA.“ In Washington beobachte man aber mit Sorge, dass der Einfluss Chinas, obgleich immer noch „der Schlüssel“ zum Problem, in Pjöngjang zu schwinden scheint. In Peking herrsche „Frustration, sogar Zorn“ über den widerspenstigen Verbündeten, was seinen Ausdruck bereits darin erfahren hatte, dass China im Weltsicherheitsrat schärferen Sanktionen gegen das stalinistische Nordkorea zugestimmt und damit seinem Schützling die Deckung entzogen hatte. Die Zeitung „Global Times“, herausgegeben vom KP-Zentralorgan People’s Daily, rief sogar dazu auf, die Verbindungen zu Nordkorea ganz zu kappen.

Doch das chinesische Regime könne Pjöngjang nicht fallen lassen, weil es „eine Flüchtlingswelle aus Nordkorea, politisches Vakuum und US-Truppen an ihrer Grenze“ fürchte, meint der US-Insider. Aber um das Problem auf der koreanischen Halbinsel zu lösen, müsse „China viel mehr diplomatisches Gold auf den Tisch“ legen. Nordkorea verfügt Schätzungen von Experten zufolge schon jetzt über genügend Plutonium, um vier bis acht Atombomben herstellen zu können. Es scheint, als habe Kim Jong-un eine Hauptlehre aus dem Kalten Krieg für sein Land gezogen: Ein Staat, der über Atomwaffen verfügt, wird niemals angegriffen. Ihn schützt die Furcht des Aggressors vor dem atomaren Gegenschlag und damit der eigenen Vernichtung.

Ein falsch verstandener Befehl, ein übereifriger Feldkommandeur, eine fehlinterpretierte Frontsituation – ein zweiter Krieg nach dem von 1950 bis 1953 ist natürlich nicht auszuschließen. Aber das Verhalten des Herrschers über eine unmündige, vormoderne Gesellschaft lässt auch die Interpretation zu, dass er vordergründig mit dem Säbel rasselt, um hinter den Kulissen den vor allem wirtschaftlich notwendigen Umbau einer Nation vorzunehmen, die von der Globalisierung nichts mitbekommen hat. Kim mag größenwahnsinnig sein, aber lebensmüde ist er mutmaßlich nicht. Er will seine „Dynastie“ in die neue Zeit retten, an der Macht bleiben. Die meisten Kader werden diesen Weg mitgehen, denn auch sie haben viel zu verlieren. Damit das aber ohne Volksaufstände und Revolutionen gelingen kann, muss die Drohkulisse von außen aufrecht erhalten bleiben. Dass es die gar nicht gibt, können die Nordkoreaner ja nicht wissen, weil sie seit Generationen nur das erfahren, was die Kim-Dynastie diktiert hat.