Streng im Glauben, bescheiden im Lebensstil, zurückhaltend in der Art: Auf Franziskus I., der auch in Deutschland studiert hat, setzen viele Katholiken große Hoffnungen. Mehrfach hatte er in der Vergangenheit die ungleiche Verteilung der Güter in der Welt als Sünde bezeichnet

Rom. Im Konklave 2005 galt Jorge Mario Bergoglio als letzter ernsthafter Gegenkandidat zu Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. Er zog damals zurück - und Ratzinger wurde Papst Benedikt XVI. Nun, acht Jahre später und diesmal völlig unerwartet, ist Bergoglio tatsächlich Papst: Franziskus I. ist der erste Jesuit und der erste lateinamerikanische Papst der Kirchengeschichte. Seine Wahl trägt einer neuen Realität Rechnung: Mehr als 500 Millionen und damit über 40 Prozent aller Katholiken leben in dieser Weltregion, die maßgeblich durch vier Jahrhunderte spanischer und portugiesischer Kolonialgeschichte geprägt ist.

Geboren am 17. Dezember 1936 als Sohn italienischer Einwanderer in Buenos Aires, hat der bisherige Erzbischof der argentinischen Hauptstadt mit nunmehr 76 Jahren eigentlich das Alter überschritten, das sich die Kardinäle in ihren Äußerungen vor der Wahl so vorgestellt hatten. Bis heute hat Bergoglio sowohl die argentinische wie auch die italienische Staatsangehörigkeit. Das wird ihm den Start bei den Italienern erleichtern. Der gelernte Chemiker ist ein Multitalent, ein Liebhaber der Oper und der griechischen Klassiker, aber auch von Shakespeare und Dostojewski. Ein Schwimmer, der körperlich anpacken kann - auch wenn er schon seit der Kindheit mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen hat: Im Alter von 21 Jahren wurde ihm wegen einer schweren Lungenentzündung ein Teil der rechten Lunge entfernt.

Nach dem Diplom als Chemie-Ingenieur entschied sich Bergoglio für den Priesterberuf und trat in die Gesellschaft Jesu ein. Er studierte Philosophie und Theologie und lehrte währenddessen Literatur und Psychologie. Nach seiner Priesterweihe im Dezember 1969 brachte er es schnell zum Jesuiten-Provinzial Argentiniens. In diese Amtszeit fiel auch die Zeit der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983). Im Foltergefängnis inhaftierte Ordensbrüder warfen Bergoglio Schwäche im Umgang mit dem Regime vor, weil er sich nicht vor sie gestellt habe.

Von 1980 bis 1986 war Bergoglio Rektor der Theologischen Hochschule von San Miguel. Um seine Dissertation zu beenden, kam er 1985 zu einem längeren Aufenthalt nach Deutschland - und spricht seither neben Spanisch und Italienisch auch Deutsch. Seit 1992 Weihbischof in Buenos Aires, ernannte ihn Johannes Paul II. im Sommer 1997 zum Erzbischof-Koadjutor und im Februar 1998 zum Erzbischof der Hauptstadt-Diözese. Seit 2001 gehört Bergoglio dem Kardinalskollegium an; von November 2005 bis 2011 war er Vorsitzender der Argentinischen Bischofskonferenz.

Der Naturwissenschaftler liebt die großen Auftritte nicht. Das hat auch die große Geste der Demut gezeigt, mit der sich Franziskus I. am Mittwochabend den 1,2 Milliarden Katholiken weltweit vorstellte. In einer schlichten weißen Soutane trat er auf die Mittelloggia des Petersdoms, bat um einen guten gemeinsamen Weg und um ein Gebet für sich selbst. "Bevor ich euch segne, bitte ich euch, dass ihr den Herrn bittet, mich zu segnen", sagte er. Dazu verneigte er sich tief.

Zur Tagespolitik hat Bergolio in der Vergangenheit möglichst Distanz gehalten. Allerdings legte er sich in den letzten Jahren mehrfach mit den Regierungen von Néstor und Cristina Kirchner an. Er kritisierte Korruption und Armut, wandte sich erfolglos gegen die Legalisierung der Ehe zwischen Homosexuellen in Argentinien. Als Bergoglio die Gesetzesvorlage zur gleichgeschlechtlichen Ehe als "Teufels-Manöver" bezeichnete, antwortete Staatschefin Cristina Kirchner, diese Kritik erinnere an die Zeiten der Inquisition.

Bergoglio lebt Bescheidenheit vor. Statt seiner Bischofsresidenz bewohnte er in Buenos Aires ein schlichtes Apartment. Er ging selbst im Supermarkt einkaufen, liebte lange Spaziergänge durch seine Heimatstadt - und fuhr ansonsten mehr Bus als Bischofslimousine. So konnte er bereits als Kardinal häufiger in der U-Bahn auf dem Weg in die Kathedrale an der Plaza de Mayo beobachtet werden. Auch in Rom geht er lieber in einem dunklen Mantel und ohne Kardinalshut.

Theologisch eher gemäßigt und dialogbereit gilt Bergoglio bislang als schüchterner und doch volksnaher "Versöhner". Der Jesuit steht einerseits der äußerst konservativen katholischen Vereinigung "Comunione e Liberazione" nahe. Zugleich geißelt er mit klaren Worten soziale Ungerechtigkeit. "Wir leben in einem Teil der Welt, der am meisten gewachsen ist und dennoch die Armut am wenigsten verringert hat", sagte er einmal bei einem Treffen lateinamerikanischer Bischöfe. "Die ungleiche Verteilung der Güter ist eine soziale Sünde, die zum Himmel schreit." Vor wenigen Wochen erst warnte Bergoglio vor der "alltäglichen Übermacht des Geldes mit seinen teuflischen Folgen von Drogen und Korruption sowie dem Handel von Menschen und Kindern, zusammen mit der materiellen und moralischen Misere".

Seine vergleichsweise wenigen Worte hatten im traditionell katholischen Argentinien Gewicht. Für seine Landsleute geht von dem asketischen Einzelgänger eine besondere Aura aus. Manche beschreiben ihn als faszinierend, manche als rätselhaft. Sein Ziel, eine echte Aussöhnung aller gesellschaftlichen Gruppierungen des Landes nach den Verbrechen der Diktatur zu erreichen, muss sein Nachfolger in Buenos Aires weiter voranbringen. Auf Franziskus I. wartet nun eine ganz andere Aufgabe.