Unter den Kardinälen gibt es “Besorgnisse“ wegen der zu großen Machtfülle in der römischen Kurie. Nicht immer sind die richtigen Personen an der richtigen Stelle eingesetzt. Auch die stärkere Beteiligung von Laien und eine gründliche Neuordnung der skandalgeschüttelten Vatikan-Bank stehen auf der Agenda.

Berlin. Der Argentinier Jorge Mario Bergoglio gilt mit seinen 76 Jahren als zwar relativ alt für die aufreibenden Aufgaben, die auf den 266. Papst warten. Doch mit der Verbindung äußerst konservativer Auffassungen über Sexualmoral, Abtreibung, Kondome und Homosexualität mit einem schlichten Lebensstil überzeugte der italienischstämmige Argentinier, der in Deutschland studierte, schon viele Vatikanbeobachter.

Der Erzbischof von Buenos Aires verzichtete auf die Limousine und zog dem erzbischöflichen Palais eine Wohnung vor. Für den Weg zur Arbeit nutzt der Jesuit öffentliche Verkehrsmittel. Obwohl er sich als Fürsprecher der Armen in Lateinamerika profilierte, kritisierte er seit jeher die Befreiungstheologie, der sich vor allem während der Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983) viele Kirchenvertreter anschlossen. Der Jesuit steht einerseits der äußerst konservativen katholischen Vereinigung "Comunione e Liberazione" nahe. Zugleich geißelt er mit klaren Worten soziale Ungerechtigkeit.

In seinem neuen Amt wird er als Franziskus I. auch mit allerhand Ungerechtigkeiten und Missständen zu tun bekommen. Und selten war die Arbeitsplatzbeschreibung des neuen Papstes so eindeutig wie dieses Mal. Im Jahre 1978, vor der Wahl von Johannes Paul II., hatten die Kardinäle wegen der Verwirrung nach dem schnellen Tod von Johannes Paul I. überhaupt keine Idee für das große Thema des dann folgenden Pontifex - sodass der Überraschungspapst Karol Wojtyla auf eigene Faust lospreschen konnte. Und als 2005 das XXL-Pontifikat des Polen endete, wurde dies in der Kirche zwar als Möglichkeit zu einem Neuaufbruch gesehen, aber woran der sich zeigen könnte, war durchaus unklar. Beim Konklave 2013 ist das anders. Denn was immer die Kardinäle in den Tagen vor ihrer Versammlung andeuteten - ein Thema wurde stets angesprochen: Strukturreformen. Vor allem die Gepflogenheiten im Vatikan, aber auch die Kommunikationsformen in der ganzen Weltkirche erscheinen vielen als verbesserungsbedürftig, wenn nicht desolat.

Die "Vatileaks"-Affäre um nach außen durchgestochene Interna, die lähmenden Machtkämpfe innerhalb der Kurie, die immer neuen Probleme mit der Vatikan-Bank und die offensichtlichen Schwierigkeiten Benedikts, an relevante Informationen zu kommen - etwa über den Holocaust-Leugner Williamson -, all das zeigt, dass in Rom eine Menge zu erledigen ist. Und dass der neue Papst von den Kardinälen daran gemessen wird, ob er dabei etwas zu Wege bringt.

Forderung nach Kabinettssitzungen

Vorschläge für Reformen hat es in jüngster Zeit schon manche gegeben. So fordern etliche, darunter der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf, dass im Vatikan endlich wieder allwöchentliche "Kabinettssitzungen" des Papstes mit den Chefs der einzelnen Kongregationen stattfinden, sodass alle wichtigen Informationen gebündelt und besprochen werden können. Das hätte außerdem den Vorteil, dass die maßgeblichen Kardinäle regelmäßig Rechenschaft geben, sich also in die Karten schauen lassen müssten.

Oft beklagt wird weiterhin, dass im Vatikan die Theologen zu sehr mit Dingen betraut sind, von denen sie nichts oder nur wenig verstehen. So ist Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone zwar an allen großen politischen und organisatorischen Weichenstellungen beteiligt, selbst aber weder ein gelernter Diplomat noch ein Jurist, sondern Geistlicher. Eine Kirche, die diplomatische Beziehungen zu mittlerweile rund 180 Staaten unterhält und Milliarden von Euro bewegt, dürfte wesentlich mehr politischen, juristischen und betriebswirtschaftlichen Sachverstand benötigen, als derzeit im Vatikan zu finden ist.

Insofern hat die derzeit häufig erhobene Forderung nach stärkerer Beteiligung von Laien nicht nur eine theologische Dimension, sondern auch eine ganz praktische: Der Vatikan braucht Leute - egal ob Priester oder nicht -, die der Komplexität der Aufgaben gewachsen sind. Statt wichtige Posten nach dem Prinzip zu besetzen, wer denn mit dem Papst oder mit wichtigen Kardinälen eine jahrzehntelange Vertrautheit in gemeinsamer theologischer Arbeit entwickelt hat, müsste es nach Ansicht zahlreicher Würdenträger stärker nach inhaltlicher Kompetenz gehen.

Eine weitere dringliche Reformaufgabe ist die gründliches Neuordnung der skandalgeschüttelten Vatikan-Bank - wobei bislang aber nur außerhalb des hohen Klerus gefordert wird, die Vatikan-Bank komplett abzuschaffen. Theoretisch möglich wäre das, da die Kurie ihr Geld auch von externen Geldhäusern mit hohen ethischen Prinzipien verwalten lassen könnte. Überfällig ist auch ein transparentes und neutrales Kostenmanagement. So war kürzlich zu erfahren, dass dem Vatikan jahrelang große Mengen Travertin geliefert wurden, ohne dass dort jemand gewusst hätte, wofür die Steine gebraucht würden. Für solche Fragen hat die Privatwirtschaft längst effektive und faire Kontrollmechanismen entwickelt.

„Besorgnis“ über Zentralismus der Kurie

Doch auch in der Kommunikation der Kurie mit der Weltkirche sehen manche Reformbedarf. Der frühere Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan, Pater Eberhard von Gemmingen, bringt immer wieder eine Forderung zur Sprache, der auch viele Bischöfe zustimmen: "Die katholische Kirche bräuchte eine große Dezentralisierung." Tatsächlich überfordert sich der Vatikan mit dem Anspruch, regionale Probleme einzelner Kontinente oder Episkopate selbst lösen zu wollen. Als Beispiel angeführt wird in diesem Zusammenhang immer wieder das deutsche Spezialproblem, dass hierzulande die Zahl der Katholiken fast genauso groß ist wie die der Protestanten, sodass es viele konfessionsverschiedene Ehepaare gibt, die auch einmal gemeinsam zum Abendmahl gehen wollen. Dass über diese Besonderheit in Rom entschieden werden muss, will vielen nicht einleuchten. So teilen die deutschen Kardinäle nach Einschätzung des Sekretärs der Deutschen Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, die "Besorgnisse" über den Zentralismus der Kurie. Insbesondere bei der Kommunikation nach außen müssten unter dem nächsten Papst "dringend erforderliche Verbesserungen umgesetzt" werden.

Eine Stärkung des kollegialen Prinzips mit einer gewissen Autonomie der Regionen könnte auch in Lateinamerika, der Heimat des neuen Papstes, nötig sein, wo die katholische Kirche unter den Missionierungsdruck freier evangelischer Pfingstgemeinden gerät. Wie darauf zu reagieren ist, werden die lateinamerikanischen Priester und Bischöfe sehr viel genauer wahrnehmen als die Kurie in Rom.

Sind somit Professionalisierung, Kollegialisierung und Regionalisierung Gebote der Stunde, so steht der neue Papst auch theologisch vor konkreten Herausforderungen, jedenfalls in Europa. Hier verliert die katholische Kirche an Attraktivität. Das erkennt man beispielsweise in Deutschland an den Austritts- und Eintrittszahlen. Zwar verlieren die Protestanten mehr Mitglieder durch Austritte ( jährlich rund 150.000) als die katholische Kirche, bei der es durchschnittlich 120.000 sind. Aber die Zahl der (Wieder-)Eintritte von Erwachsenen liegt in der evangelischen Kirche bei jährlich gut 50.000, während die katholischen Bistümer hier nur auf insgesamt 10.000 kommen. Das bedeutet: Die katholische Kirche übt zwar eine hohe Bindungskraft auf ihre Mitglieder aus (man tritt nicht so schnell aus), aber nur eine sehr geringe Anziehungskraft auf Außenstehende.

Damit stellt sich die Frage, ob in Europa noch das katholische Prinzip der Ordnung funktioniert. Dieses besteht darin, dass die Kirche klare dogmatische Prinzipien verkörpert, die von den Mitgliedern geschätzt, zwar nicht immer befolgt, aber als bindend anerkannt werden. Eine missionarische Außenwirkung jedoch entfaltet dieses Ordnungsprinzip in Europa kaum noch. Daher wird der neue Papst Franziskus I. mit den europäischen Bischöfen auch darüber sprechen müssen, ob die Konservierung katholischer Ordnungen noch der Königsweg ist - oder ob Wege zu einer neuen, attraktiven Frömmigkeit gesucht werden müssen.