Damit stellt das Heimatland Benedikts XVI. das drittstärkste nationale Kontingent an Kardinälen nach Italien und USA. Aber keiner ist in der Sixtinischen Kapelle unter den Favoriten.

Berlin. Wenn sich an diesem Dienstag die 115 Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle unter den Fresken Michelangelos zum Konklave versammeln, ist aus deutscher Perspektive einiges anders als bei der Papstwahl im Jahr 2005: Keiner der deutschen Purpurträger taucht auf einer Liste mit den Namen der "Favoriten" auf. Vor acht Jahren, nach dem Tod von Johannes Paul II., gehörte Joseph Ratzinger, damals Präfekt der Glaubenskongregation, ganz selbstverständlich zu den Anwärtern auf das höchste Kirchenamt - aus ihm wurde tatsächlich nach vier Wahlgängen Benedikt XVI. Die Deutschen stellen mit sechs Wahlmännern das drittstärkste nationale Kontingent nach Italienern und US-Amerikanern, sie sind also durchaus ein starkes Team. Aber das verschafft ihnen nur begrenzten Einfluss auf die Entscheidung über den Nachfolger des "deutschen Papstes". Die Spekulationen blühen, was sie als "Strippenzieher" bewirken können.

Viele Augen richten sich auf Kardinal Joachim Meisner, 79. Der Erzbischof von Köln ist das dienstälteste Mitglied im "Heiligen Kollegium", seit 30 Jahren gehört Meisner zum Beraterkreis der Päpste, er gilt als Freund des zurückgetretenen Pontifex, und er war auch ein Vertrauter von Johannes Paul II., der ihn 1988 gegen Widerstände im Kölner Domkapitel als Oberhirte der mächtigsten, weil reichsten deutschen Diözese durchsetzte. Er ist gut vernetzt vor allem in den Kreisen der konservativen Katholiken und ihrer Oberhirten. Das gibt ihm auch im Konklave besonderes Gewicht. Er kennt die meisten der von Benedikt ernannten Kardinäle; er ist die erste Anlaufstelle für Gläubige, die sich über Missstände in der Liturgie und über romkritische Tendenzen im deutschen Katholizismus empörten.

Der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper, 80, früherer Bischof von Rottenburg-Stuttgart und jetzt der älteste Papstwähler, sprach dagegen von sich aus immer offen aus, was andere Purpurträger nur hinter vorgehaltener Hand zu sagen wagten: Es brauche "revolutionäre Veränderungen" in der Kurie. Wie kein anderer der deutschen Papst-Wähler pochte der Schwabe Kasper auf eine gründliche Diskussion über Missstände, die den Vatikan in ein trübes Licht tauchten. Er forderte von Rom das Zugeständnis von mehr Eigenverantwortung der Ortskirchen.

Kaspers Position ähnelt in vielem der seines Kardinalskollegen und schwäbischen Landsmannes Karl Lehmann, 76. Auch Lehmann scheint die Schwächen des Pontifikats von Benedikt XVI. vor Augen zu haben. Zu seinem Anforderungsprofil an den künftigen Pontifex gehört "Durchsetzungsfähigkeit gegenüber der Kurie". Lehmann wünscht sich einen theologisch und spirituell gebildeten Mann auf dem Petrusstuhl, der den manchmal eigene Wege beschreitenden Kurienapparat in den Griff bekommt: "Er muss eine Vision haben über den Weg der Kirche in die Zukunft." Lehmann, seit 1983 Bischof von Mainz, von Johannes Paul II. im Januar 2001 gegen römische Widerstände in das Kardinalskollegium berufen, genießt als Theologe weltweit Anerkennung. "Liberal" ist eine unscharfe Bezeichnung für ihn. Aber der Schwabe in Mainz ist zu einer herausragenden internationalen Leitfigur einer humanen, weltoffenen Kirche geworden: der Gegenpol zu Meisner in der Deutschen Bischofskonferenz.

Erstmals dabei ist der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, 59. Der gebürtige Westfale, einer der versiertesten katholischen Sozialethiker, ist Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der EU. Sein Wort hat Gewicht unter den 60 Wahlmännern aus Europa. Marx hat sich aus Spekulationen über den künftigen Papst herausgehalten.. "Das ganze Volk Gottes betet, die Kardinäle wählen, und Gott entscheidet", predigte er am Sonntag in Rom. Viel mehr sagte er nicht über das Konklave.

Dagegen äußerte sich Kardinal Paul Josef Cordes, 78, umso lauter. Cordes, wie Marx aus der Erzdiözese Paderborn stammend, war Präsident des Päpstlichen Rates "Cor unum", sozusagen der Entwicklungshilfeminister des Vatikans. Er hat viele Freunde in den jungen Kirchen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Cordes hofft, wie er "Bild" sagte, auf ein kurzes Konklave: "Ich will das mal mit dem Besuch beim Zahnarzt vergleichen. Da möchte man alles schnell hinter sich bringen." Und eine andere Bemerkung zeigt, wie sehr unter den Deutschen im Konklave die Meinungen auseinandergehen. Cordes hält nichts von der Anregung Kardinal Kaspers, dem Papst ein neues Gremium aus Bischöfen und Laien zur Seite zu stellen: "Es gibt schon genug Gremien. Unsere wichtigste Aufgabe ist die Vertiefung des Glaubens."

Eine Premiere ist die Wahl auch für den Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki, 56. Der jüngste der deutschen Purpurträger ist nach eigenen Worten "auch ein wenig aufgeregt". Wie ein neues Bild von Kirche aussehen kann, das hat Woelki während der Frühjahrsversammlung des Episkopats in Trier verdeutlicht: "Wir müssen das Positive der Botschaft herausstreichen. Wir sind ja nicht nur einfach gegen Abtreibung, sondern wir sind für das Leben, für den Lebensschutz in der gesamten Umfänglichkeit. Dieses ,Für', für den Menschen, müssen wir stärker herausstreichen."