Der Rückzug von Benedikt XVI. setzt für die Wahl Maßstäbe

Die Schar der Kardinäle aus aller Welt zieht an diesem Dienstag in die Sixtinische Kapelle ein, um sich dort für die Wahl eines Papstes symbolisch einschließen zu lassen. Dieses sogenannte Konklave folgt seit Jahrhunderten denselben Regeln. Dennoch haben die zum Ritual gehörenden Vorgespräche deutliche Hinweise gebracht, dass diese Papstwahl erstaunlich anders verlaufen wird als in der jüngeren Geschichte üblich.

Das liegt an dem so ungewöhnlichen Rücktritt eines Papstes, der die Kardinäle geradezu nötigt, nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen. Zwar zweifelt niemand die von Benedikt XVI. genannten Rücktrittsgründe an, dass er das Amt mit dem Schwinden seiner körperlichen und geistigen Kräfte nicht mehr in voller Verantwortung ausfüllen könne; aber seinem sogar für Insider überraschenden Rückzug haftet auch ein Hauch von Resignation an. Weniger vor kirchenfernen Gesellschaften als vor den Unzulänglichkeiten und Fehlern der mächtigen römischen Kirchenverwaltung, der Kurie.

Hier fehlte Joseph Ratzinger erkennbar die Kraft, den Forderungen nach einer Neuordnung nachzukommen. Wenn schon so kirchentreue und gehorsame Mitbrüder wie der Kölner Kardinal Meisner seit Langem die Ablösung des Papst-Stellvertreters, des Kardinalstaatssekretärs Tarcisio Bertone, fordern, ist offensichtlich, dass selbst den konservativsten Kräften langsam die Geduld ausgeht. Mit seinem Rücktritt hat sich der Papst auf diplomatische Weise den zahlreichen Affären entzogen: Denn mit seinem Abschied verloren alle Kurienkardinäle automatisch ihre Posten, auch Bertone, selbst wenn er noch vorübergehend der Verwalter während der papstlosen Zeit ist.

Umso erschreckender, dass ausgerechnet dieser Bertone als möglicher Papstkandidat gehandelt wird. Er zählt zum starken italienischen Lager, das sich nach einem Polen und einem Deutschen als Papst endlich wieder Chancen erhofft. Mit den meisten italienischen Kandidaten wäre ein Neuanfang schwer möglich. Den aber hat die katholische Kirche bitter nötig.