Der Tod von Präsident Hugo Chávez stürzt seine Anhänger in Verzweiflung - und weckt die Furcht vor gewaltsamen Auseinandersetzungen in dem tief gespaltenen südamerikanischen Land.

Der Tag danach begann mit 21 Salutschüssen am frühen Morgen zu Ehren des verstorbenen Präsidenten. Venezuela verabschiedet sich mit einer mehrtägigen Staatstrauer von Hugo Chávez. Tausende seiner Anhänger strömten auf die Straßen, um dem Präsidenten die letzte Ehre zu erweisen. Diesmal war es keine organisierte Demonstration, für die "Chavistas" in Staatsbetrieben arbeitsfrei und ein paar Bolivar in die Hand bekommen. Es waren spontane, ehrliche und authentische Emotionen.

"Wir wollen Chávez, nur Chávez", riefen weinende Anhänger in der Hauptstadt Caracas. Viele stellten Kerzen ab und legten Blumen an Orten nieder, die sie mit dem politischen Wirken des Präsidenten verbinden. An Autoantennen waren schwarze Bänder der Trauer befestigt, in den Hochhäusern der Armenviertel hingen noch mehr Bilder des "Comandante" in den Fenstern als ohnehin schon. Hier hatte der wegen seiner milliardenschweren Sozialprogramme populäre Chávez seine Machtbasis. Die Menschen kommen zusammen, stellen Kerzen auf, beten. Sie haben Chávez-Bilder dabei, die Szene erinnert an eine katholische Prozession. Seine Tochter ruft zu Gebeten auf. Und es tauchen die ersten Verschwörungstheorien in radikalen Medien auf, die USA hätten Chávez mit Krebszellen infiziert. Sie waren der erklärte Gegner des Präsidenten, und Chávez zeigte nie Scheu, sich mit anderen Gegnern der USA gemeinzumachen - seien es auch autoritär regierende Männer wie Mahmud Ahmadinedschad im Iran oder Libyens Muammar al-Gaddafi.

Es kommt zu rührenden Szenen im ganzen Land, die deutlich machen, dass der Erfolg der Sozialisten vor allem ein Erfolg der Person Hugo Chávez war. Sein Charisma überstrahlt auch diese Stunden der Trauer. Soldaten halten bei einer Versammlung kleine Chávez-Puppen in Armee-Uniform in die Höhe, andere beten still. Im sonst politisch so lauten Venezuela, in dem dröhnende Lautsprecher Botschaften hinausposaunen, ist es ein ungewohnter Moment der Stille. Es ist der Abschied von einer Epoche, die eine historische Zäsur in Venezuela und ganz Lateinamerika kennzeichnet - oder wie die Tageszeitung "El Universal" schrieb, der erste Tag nach "der Ära Hugo Chávez".

Es soll aber auch zu vereinzelten Übergriffen gekommen sein. Eine Reporterin eines regierungskritischen Senders berichtete über Attacken von Chávez-Anhängern. Es kursieren Bilder einer blutüberströmten kolumbianischen TV-Reporterin. Es bleibt bei vereinzelten Angriffen. Dazu tragen auch die beiden Kontrahenten der nächsten Wochen bei: Vizepräsident Nicolás Maduro, der unter Tränen den Tod von Chávez bekannt gab, und Oppositionsführer Henrique Capriles schlugen betont versöhnliche Töne an, beide wissen um die explosive Stimmung in Caracas.

Die venezolanische Kirche rief zur Wahrung der nationalen Einheit auf. Der Generalsekretär der Venezolanischen Bischofskonferenz, Bischof Jesús González de Zárate, sagte im regierungskritischen TV-Sender Globovision: "Sein Tod berührt uns alle. Der Staatschef war ein getaufter Mann, und in den letzten Jahren hat er seine Nähe zu Gott gezeigt. Es gibt viele, die mit dem Präsidenten sympathisieren, und viele, die eine andere Meinung vertraten. Dies ist ein Moment und eine Gelegenheit für eine Versöhnung und der nationalen Einheit." Kardinal Jorge Urosa, der wegen der anstehenden Papstwahl in Rom weilt, sagte dem gleichen Sender: "In diesem traurigen Moment möchte ich seinen Eltern, Kindern, Angehörigen und Freunden sowie all seinen Anhängern mein Beileid ausdrücken." Der Erzbischof galt als einer der schärfsten Kritiker des Präsidenten.

Venezuelas linientreue Fernsehsender senden unterdessen in Endlosschleife Bilder vom politischen Leben des Übervaters. Und sie zeigen die bewegenden Reden von politischen Weggefährten wie Evo Morales, dessen tränenerstickte Stimme immer wieder stockt. Für Boliviens Präsidenten war Chávez einer der wichtigsten Partner in Lateinamerika.

Seine Erschütterung ist keineswegs so gekünstelt wie die Abschiedsshow von Nicaraguas Präsidenten Daniel Ortega, der eine wirre Rede vor einem überdimensionalen Chávez-Foto hielt, das den "Comandante" mit betenden Händen zeigte. Auch der potenzielle Chávez-Nachfolger in der Riege der sozialistischen Führungsfiguren Lateinamerikas zeigt sich sichtlich bewegt: "Es lebe Venezuela, es lebe Hugo Chávez", rief Ecuadors Präsident Rafael Correa ins Mikrofon, während ihm die Tränen in die Augen schossen.

Eine Schlüsselrolle für die Stabilität im Lande wird das Militär einnehmen. Wenige Stunden vor dem Tod des Präsidenten rief Vizepräsident Maduro die Militärführung und die sozialistischen Gouverneure des Landes zusammen. Offiziell, um über die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu sprechen. Maduro dürfte sich dabei aber der Unterstützung der Armeespitze versichert haben. Unmittelbar nach dem Tod des Präsidenten versicherte die Militärspitze, sie werde für die Stabilität des Landes garantieren.

Wenn der "Comandante" in wenigen Tagen zu Grabe getragen und die Tränen der Anhänger getrocknet sind, wird bereits der Wahlkampf und der interne Streit um das politische Erbe beginnen. Gemäß der Verfassung muss binnen 30 Tagen die Neuwahl eines Präsidenten stattfinden. Chávez selbst hatte vor wenigen Monaten in kluger Voraussicht seine politische Erbschaft selbst geregelt und Vizepräsident Nicolás Maduro als seinen Nachfolger vorgeschlagen.