Die Stimmung wird immer aggressiver: Vermummte werfen Brandsätze auf den Tahrir-Platz in Kairo, Unbekannte feuern auf Demonstranten.

Kairo. In Ägypten spitzt sich die Lage vier Tage vor der Volksabstimmung über den umstrittenen Verfassungsentwurf zu. In Kairo feuerten Unbekannte am Dienstag auf oppositionelle Demonstranten und verletzten neun Menschen. Augenzeugen und ägyptische Medien berichteten, auf dem zentralen Tahrir-Platz hätten mehrere, zum Teil vermummte Angreifer zudem Brandsätze geworfen. Verhandlungen über ein für das Land wichtiges Darlehen über 4,8 Milliarden Dollar mit dem Internationalen Währungsfonds wurden von diesem auf kommenden Monat verschoben.

Viele Menschen campierten zum Zeitpunkt des Angriffs bereits auf dem Tahrir-Platz, wo auch die Proteste zum Sturz von Mursis Vorgänger Husni Mubarak stattgefunden hatten. Zahlreiche Demonstranten riefen: „Das Volk will den Sturz des Regimes.“ Dies war einer der bekanntesten Slogans, die bereits gegen Mubarak benutzt worden waren. Ein ägyptischer Christ sagte, mit dem Angriff sei versucht worden, die Menschen zu vertreiben und somit die angekündigten Proteste in der Hauptstadt zu verhindern. „Wir sind gegen diese Terror-Taktik und werden heute den größten Protest überhaupt organisieren“, sagte der Mann. Der Platz war von Polizeiwagen umgeben.

Linke, liberale und andere Oppositionsgruppen riefen zu einem Marsch zum Präsidentenpalast auf, um gegen die für Samstag angesetzte Volksabstimmung zu protestieren. Die Militär-Eliteeinheit der Republikanischen Garden sicherte den Amtssitz, der mit Betonblöcken und Stacheldraht abgeschirmt wurde. Die Verfassung trägt die deutliche Handschrift der Islamisten und spaltet das Land. Auch die Anhänger Mursis haben deswegen zu Kundgebungen aufgerufen, um dem Präsidenten ihre Unterstützung zu zeigen.

Vor dem Verfassungsreferendum übertrug Mursi den Streitkräften offenbar aus Sorge um die Sicherheitslage Polizeiaufgaben. So sei es Offizieren jetzt erlaubt, Zivilisten festzunehmen, hieß es in einem Dekret des Präsidenten. Ob die Opposition zum Boykott des Referendums aufruft, war zunächst nicht entschieden. Sie möchte erreichen, dass der Termin verschoben wird.

Eine weitere Gefahr für die soziale Lage in Ägypten sind die sich abzeichnenden Streitigkeiten um IWF-Hilfszahlungen. Finanzminister Mumtas al-Said erklärte, mit der Verschiebung der Verhandlungen solle Zeit gewonnen werden, um den Ägyptern den harten Sparkurs zu erklären. Die Verhandlungen mit dem IWF über den Milliardenkredit wurden verschoben, nachdem Mursi am Montag geplante Steuer-Erhöhungen ausgesetzt hatte. Diese Steuererhöhungen gelten aber als Voraussetzung zur Gewährung des Darlehens. Die geplanten höheren Steuersätze sollte alkoholische Getränke, Tabakwaren und eine Reihe von Waren und Dienstleistungen betreffen. In der Opposition hätten die Pläne wütende Kritik ausgelöst.

Die anhaltenden Tumulte in dem bevölkerungsreichsten arabischen Land der Welt sorgen für große Besorgnis im Westen, vor allem in den USA. Die Vereinigten Staaten ließen dem Land Milliarden an Hilfsgeldern zukommen, nachdem Ägypten mit Israel im Jahr 1979 Frieden geschlossen hatte.

Vergangene Woche war es bei Protesten gegen mittlerweile aufgehobene Machtdekrete Mursis zu Straßenschlachten gekommen. Sieben Menschen wurden getötet, Hunderte verletzt.