Iran-Krise: Israels Premiers Benjamin Netanjahu scheiterte mit den Kriegsvorbereitungen am Widerstand von Armee- und Geheimdienstchefs.

Hamburg. An welchem Tag des Jahres 2010 das elitäre "Forum der sieben" tagte, wird von der israelischen Regierung als Geheimnis betrachtet. Sicher ist, dass sich an diesem Tag beinahe das Gesicht der nah- und mittelöstlichen Weltregion in dramatischer Weise verändert hätte. Das "Forum der sieben" war ein handverlesener Kreis von Ministern und Amtsträgern um den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu. Auf jener verschwiegenen Sitzung beugte er sich nach Medienberichten plötzlich zum damaligen Generalstabschef Gabi Ashkenazi und sagte: "Setzen Sie das System auf P-Plus."

"Das System" - damit war der gesamte militärische Apparat Israels gemeint, und "P-Plus" ist das Codewort für die Vorbereitungen auf einen Militärschlag. Netanjahu und sein Verteidigungsminister Ehud Barak erteilten an diesem Tag also den Befehl, die israelischen Streitkräfte für einen bevorstehenden Angriff auf die iranischen Atomanlagen zu alarmieren.

General Ashkenazi, populärer Veteran diverser Schlachten, und General Meir Dagan, der eisenharte Chef des legendären Auslandsgeheimdienstes Mossad, opponierten heftig - letztlich mit Erfolg, wie sich erwies. Die Angriffsvorbereitungen wurden abgesagt. Beide Generäle warfen Netanjahu vor, "einen Krieg stehlen zu wollen", also auf illegale politische Weise einen Waffengang mit dem Iran vom Zaun zu brechen.

Die spektakuläre Enthüllung ist Teil einer Dokumentation der angesehenen israelischen Journalistin und Autorin Ilana Dayan. Sie stammt aus der prominenten Dayan-Dynastie, die mehrere Politiker, vor allem aber den Held des Sechstagekrieges 1967, General Mosche Dayan, hervorbrachte.

Die 48 Jahre alte Juristin ist Moderatorin der investigativen Sendung "Uvda" (Tatsache) auf Kanal 2. Sie sagte, die Militärzensur habe ihr aus Sicherheitsgründen verboten, den genauen Zeitpunkt zu nennen, an dem die Sitzung stattfand. Dies hat offenbar zu tun mit dem zerrütteten Verhältnis der Netanjahu-Regierung zu Washington. Die US-Regierung unter Barack Obama lehnt einen Militärschlag gegen den Iran strikt ab und bemüht sich seit Jahren mit einem Programm unter dem Codewort "Olympische Spiele", den Ausbau des iranischen Atomprogramms zu verlangsamen und Israel Alternativen zu einem Krieg aufzuzeigen. Die israelische Regierung ist fest davon überzeugt, dass der Iran unter dem Deckmantel der zivilen Nutzung Atomwaffen entwickeln lässt. Sowohl Irans Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad als auch der Oberste Führer des Mullah-Regimes, Ayatollah Ali Khamenei, haben indirekt mit einer Vernichtung des jüdischen Staates gedroht.

Die USA hingegen befürchten einen militärischen Flächenbrand, in den sie als Schutzmacht Israels rasch hineingezogen werden würden - fatal angesichts der militärischen Überdehnung der USA. Die Cyber-Attacken gegen Irans Atomindustrie, namentlich der Schadvirus "Stuxnet", sind offenbar Teil dieser Versuche, Zeit zu gewinnen.

Der Druck auf Israels Regierung war letztlich derart stark, dass Netanjahu am 27. September vor der Uno erklärte, es pressiere doch nicht, erst im Sommer 2013 werde der Iran an der Schwelle zur nuklearen Waffenfähigkeit stehen. Zuletzt war ein israelischer Militärschlag vor den US-Präsidentschaftswahlen erwartet worden.

Wie die "New York Times" berichtete, könnte Dayans Report, der gestern Abend im israelischen Fernsehen ausgestrahlt werden sollte, die Kluft zwischen Jerusalem und Washington noch weiter auseinanderreißen. Während der Sitzung des "Forums der sieben" soll General Ashkenazi seinen Premier gewarnt haben, dass ein derartiger Befehl zur Alarmierung der Streitkräfte eine Kettenreaktion bewirken würde, die schnell außer Kontrolle geraten und in einen ausgedehnten Konflikt münden könnte.

Verteidigungsminister Ehud Barak, der höchstdekorierte Soldat Israels und früherer Außen- wie Premierminister, sagte, Ashkenazi habe in der Sitzung erklärt, die israelische Armee verfüge gar nicht über die operativen Fähigkeiten für einen erfolgreichen Schlag gegen Irans Atomanlagen. "Im Moment der Wahrheit wurde die Antwort gegeben, dass diese Kapazitäten nicht existieren", wird Barak in der Sendung zitiert. Ashkenazi wiederum soll im kleinen Kreis gesagt haben, er habe eine militärische Option zwar vorbereitet, auch verfüge die Armee über die geforderten Fähigkeiten - doch wäre ein solcher Militärschlag ein strategischer Fehler gewesen. Bereits die befohlene Alarmierung der Armee würde "neue Fakten auf dem Boden schaffen, die direkt zu einem Krieg führen würden", soll der Generalstabschef erklärt und hinzugefügt haben: "So etwas tut man nicht, wenn man es nicht bis zum Ende durchziehen will. Wenn man das Akkordeon spielt, macht es auch Musik." Mossad-Chef Meir Dagan soll Netanjahu und Barak in der Sitzung in scharfer Weise vorgeworfen haben, sie hätten versucht, illegalerweise einen Krieg ohne das Plazet des ganzen Sicherheitskabinetts anzuordnen. Dayan sagte, die Debatte habe die Spaltung in der israelischen Führungsebene noch weiter vertieft.

Barak betonte in der Sendung, dass eine solche Alarmierung auf "P-Plus" nicht notwendigerweise zum Krieg führen müsse - dass aber ein Militärschlag sehr wohl gegen den Rat des Generalstabschefs angeordnet werden könne.

Nach ihrer Pensionierung haben sich sowohl Ashkenazi als auch Dagan vehement gegen einen Militärschlag gegen Irans Atomanlagen ausgesprochen. Dagan hat betont, ein solcher Schlag sei die "dämlichste Idee, von der ich je gehört habe". Nach unbestätigten Berichten hatte Netanjahu einen Antrag Dagans, länger als geplant im Amt des Mossad-Chefs zu bleiben, abgelehnt.

Etwa zeitgleich mit der Enthüllung hat die angesehene israelische Denkfabrik Nationale Sicherheitsstudien (INSS) die Ergebnisse einer Simulation eines Militärschlags gegen den Iran veröffentlicht. Danach informiert Israels Regierung die USA nicht vorab über den Angriff; der Iran reagiert mit dem Abschuss von 200 Raketen auf Israel und fordert die Hisbollah und die Hamas zum Krieg gegen Israel auf.