Das Sparprogramm des einstigen „Musterschülers“ Portugal gerät ins Wanken. Der Widerstand gegen die strenge Sparpolitik wächst.

Lissabon. Im Euro-Krisenland Portugal schrillen die Alarmglocken. Vor der ersten Abstimmung über den umstrittenen Sparetat für 2013 am Mittwoch im Parlament hat erstmals ein Abgeordneter der Mitte-Rechts-Koalition offen die Seiten gewechselt. Die Regierung fürchtet nun einen Nachahmungseffekt. Zumal sich die Kritik an der Sparpolitik vor dem Hintergrund von tiefer Rezession und Rekordarbeitslosigkeit von 16 Prozent auch innerhalb der zwei Regierungsparteien immer mehr ausbreitet. Für Mittwoch sind wieder Massenproteste vor dem Parlamentsgebäude in Lissabon angekündigt.

Die Hiobsbotschaft für Ministerpräsident Pedro Passos Coelho kam am Sonntag von der Atlantik-Insel Madeira: Der Abgeordnete José Manuel Rodrigues sagte, er habe seinen Ersatzmann im Parlament mit der Gegenstimme beauftragt. Rodrigues gehört dem rechtskonservativen Christlich-Sozialen Zentrum (CDS) an, dem Koalitionspartner von Passos liberaler Sozialdemokratischen Partei (PSD). Der Etat diene nicht den Interessen Madeiras und Portugals. Als hätte er es kommen sehen, hatte Passos seine Koalition kurz zuvor am Sonntag zur Einheit aufgerufen: „Die Portugiesen werden uns nicht vertrauen, wenn wir uns nicht selbst vertrauen“, rief der 48-Jährige.

Von internem Frieden und Vertrauen ist die Koalition allerdings weit entfernt. „Was nützt uns, dem finanziellen Bankrott zu entgehen, wenn bald alles tot ist“, sagte dieser Tage keine Geringere als die einstige „Eiserne Lady“ Manuela Ferreira Leite. Die 71-jährige Ex-Finanzministerin, die 2008 als erste Frau überhaupt in Portugal als PSD-Chefin eine Partei anführte, rief die Abgeordneten auf, gegen den Etat zu stimmen. Die Konsolidierung des Haushalts sei nicht in zwei Jahren zu schaffen, ohne die Wirtschaft des Landes völlig und irreparabel zu zerstören, warnte die Wirtschaftswissenschaftlerin.

Die immer schlimmeren Lageberichte sind Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Am Sonntag hieß es bei einem Kongress des Wirtschaftlichen und Sozialen Rates (CES) von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern, seit 2011 seien im Zehn-Millionen-Einwohnerland 430 000 Arbeitsplätze vernichtet worden. Der Konsum geht rapide zurück, bei Benzin etwa so schnell wie beim Bier: Je minus zehn Prozent in den vergangenen zwölf Monaten. Nach Schätzungen der „Geldgeber“-Troika und der Regierung wird Portugals Wirtschaft 2013 auf das Niveau von 2000 schrumpfen.

Vor diesem Hintergrund sollen im ärmsten Land Westeuropas erneut Steuern erhöht, die Renten, das Arbeitslosen- und das Krankengeld deutlich gekürzt werden. Der Gesundheitssektor soll mit 17 Prozent weniger Geld auskommen. 2011 erhielt Portugal von der „Troika“ aus EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) ein 78-Milliarden-Euro-Hilfspaket, im Gegenzug soll das Defizit bis 2014 auf die EU-Marke von drei Prozent der Wirtschaftsleistung gedrückt werden. Aber immer mehr fordern eine Umschuldung. Der CGTP-Gewerkschaftsverband ebenso wie das liberale Wochenblatt „Expresso“. Die Schulden seien nicht zurückzahlen, heißt es immer häufiger.

Der CGTP und die Facebook-Initiative „Zum Teufel mit der Troika!“ wollen an diesem Mittwoch wieder das Ende der Sparpolitik und den Rücktritt der Regierung fordern. „Dieser Etat kommt nicht durch“, heißt es kämpferisch. Regierungschef Passos weiß, dass er sich keine Abstimmungsschlappe leisten darf. Das „Überleben“ einer Koalitionsregierung kommt in Portugal ohnehin einem Wunder gleich. Die Wochenzeitung „Sol“ erinnerte am Sonntag daran, dass in Portugal seit der Rückkehr zur Demokratie 1974 keine einzige der sieben Koalitionsregierungen die ganze vierjährige Amtszeit geschafft hat.