Ab Mitte Januar dürfen die Bürger der sozialistischen Insel etwas mehr Freiheit genießen und ohne besondere Gründe ins Ausland reisen.

Washington. Kubaner im Besitz eines Reisepasses können ab Januar ohne weitere bürokratische Hürden ins Ausland reisen - aber längst nicht jeder Einwohner des Inselstaates hat die Chance, einen solchen Pass zu bekommen. Künftig seien "der normale Reisepass" und erforderlichenfalls das Visum des Landes, in das die Reise gehen soll, ausreichend, berichtete gestern "Granma", die Zeitung der herrschenden kommunistischen Partei.

Unter der Überschrift "Kubas Reisepolitik aktualisiert" heißt es weiter, die Regierung in Havanna habe "beschlossen, auf die bislang erforderliche Reiseerlaubnis und auf einen Einladungsbrief zu verzichten". Die Regelung trete zum 14. Januar kommenden Jahres in Kraft. "Der reguläre Reisepass wird ausgestellt für kubanische Bürger, die die Anforderungen des Reisegesetzes erfüllen, wie es in Übereinstimmung mit diesen Bestimmungen gültig ist." Ein Auslandsaufenthalt dürfe künftig bis zu 24 Monate dauern. Bislang drohte Kubanern, die für länger als elf Monate ausreisten, der Entzug der Staatsbürgerschaft und der Rentenansprüche.

Doch "Granma" deutet auch die Einschränkungen des neuen Gesetzes an, das detailliert in "Gaceta Oficial", dem Amtsblatt der Regierung, veröffentlicht werde. "Die Aktualisierung der Reisepolitik berücksichtigt das Recht des revolutionären Staates, sich gegen die aggressiven und subversiven Pläne der US-Regierung und ihrer Verbündeten zu verteidigen. Aus diesem Grund bleiben die Vorkehrung zur Sicherung des Humankapitals in Kraft, die von der Revolution gegen den Diebstahl von Talenten durch die mächtigen Nationen getroffen wurden", so "Granma".

Im Klartext bedeutet das: Wichtige Berufsgruppen, beispielsweise Ärzte, Ingenieure, Fachkräfte und Wissenschaftler in bestimmten Disziplinen, sind von der Neuregelung ausgeschlossen. Ihnen wird auch derzeit selbst bei Vorlage einer Einladung aus dem Ausland die Reiseerlaubnis verweigert. Die kubanische Regierung fürchtet angesichts einer trotz diverser Reformversuche desolaten Wirtschaftslage den Verlust von Experten, die als unverzichtbar gelte. Daneben sind auch Militärs zumeist von Auslandsreisen ausgeschlossen. Diese Regelung dürfte ebenfalls beibehalten werden.

Für den Erwerb eines Passes muss ein Kubaner bislang rund drei Monatsgehälter auf den Tisch legen. Auch für die Verlängerung fallen alle zwei Jahre hohe Gebühren an. Es ist nicht klar, ob dies unter dem neuen Gesetz so bleibt. Möglichweise zielt die Reform auch stärker auf finanzstarke Kubaner im Ausland, die man zur Rückkehr ermuntern will, und auf die internationalen Investoren.

Das lässt sich aus einer Passage in dem "Granma"-Artikel folgern, in dem die Rede ist von "weiteren Maßnahmen, die im Zusammenhang mit Reisefragen verabschiedet werden" und die außerdem "sicherlich dabei helfen werden, die Anstrengungen zu konsolidieren, die im Namen der Revolution unternommen werden zur vollständigen Normalisierung der Beziehungen Kubas zu seinen Emigranten".

Kubas langjähriger Herrscher Fidel Castro hatte im Jahr 1961 drastische Reisebeschränkungen verfügt, zwei Jahre nach der Revolution in dem Karibikstaat. Die Flucht etlicher seiner Landsleute vor allem in die USA war der Grund dafür. Als wegen Fidel Castros Krebsleiden im Februar 2008 sein Bruder Raúl neuer Vorsitzender des Staatsrates und Oberkommandierender der Streitkräfte wurde, hofften viele Beobachter auf eine Phase der Liberalisierung. Und tatsächlich wurde den Kubanern in verschiedenen Reformschritten zugestanden, bislang Touristen vorbehaltene Hotels zu nutzen, kleine Privatunternehmen zu gründen und Autos oder Computer zu erwerben. Zuletzt wurde auch der Kauf und Verkauf von Immobilien gestattet.

Im ersten Halbjahr 2012 wuchs die kubanische Wirtschaft immerhin um 2,1 Prozent. Die USA erreichten nur 1,7 Prozent. Doch das Wachstum Kubas erfolgt vom Niveau eines Entwicklungslandes mit ärmlichsten Strukturen außerhalb der touristischen Zentren. Insgesamt blieben die eingeleiteten Reformen von Rául Castro, der mit dem chinesischen Modell marktwirtschaftlicher Elemente in einem zentral gelenkten kommunistischen Staat liebäugelt, weit hinter den Erwartungen zurück. Und vor allem die Menschenrechtssituation hat sich nicht verbessert. So kritisierte Amnesty International (ai) im Frühjahr: "Das Recht auf Meinungs- und Organisationsfreiheit ist in Kuba nach wie vor stark eingeschränkt."

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) weist regelmäßig auf staatliche Repressionen hin. Im September wurden 58 Mitglieder der Bürgerrechtsbewegung Damas de Blanco (Damen in Weiß) nach IGFM-Angaben verhaftet, geschlagen und entführt. Weil der Sohn von Osvaldo Rodríguez Acosta, Chef der oppositionellen Bewegung Patriotische Allianz, über die Wehrdienstverweigerung nachdachte, wurde die gesamte Familie verhaftet und misshandelt.

Anfang des Jahres starb der Dissident Wilmar Villar im Gefängnis bei einem Hungerstreik. Oswaldo Payá Sardiñas, als Vorsitzender der Christlichen Befreiungsbewegung einer der charismatischsten Köpfe der Anti-Castro-Opposition, wurde im Juli bei einem Autounfall getötet. Seine Anhänger sprechen von einem Anschlag. Vor Gericht verantworten muss sich allerdings der spanische Jungpolitiker Ángel Carromero, der den Unfallwagen lenkte. Als die bekannte Bloggerin Yoani Sánchez und ihr Mann, der Journalist Reinaldo Escobar, über den Prozess berichten wollten, wurden sie vorübergehend festgenommen. "Das kubanische Modell funktioniert nicht einmal mehr für uns", sagte Fidel Castro 2010 auf eine Interviewfrage von "The Atlantic", ob er die Revolution weiterhin exportieren wolle. Viele Konsequenzen hatte dieser Moment der Einsicht bislang nicht.