Israels Regierungschef schaltet sich in US-Wahlkampf ein. Er sagt wenig Neues über Irans Atomprogramm, das Timing ist entscheidend.

Washington. Benjamin Netanjahu versucht, die Gunst der Stunde zu nutzen: Der israelische Regierungschef erhöht den Druck auf US-Präsident Barack Obama, eine härtere Gangart gegen den Iran einzuschlagen. Mit seiner Forderung, die USA sollten wegen des iranischen Atomprogramms eine rote Linie ziehen, schaltete sich Netanjahu in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf ein.

Inhaltlich sagte Netanjahu in Interviews mit den Fernsehsendern NBC und CNN am Sonntag zwar wenig Neues über das Atomprogramm des Irans. Es ist eher das Timing seiner Aussagen, das ihnen Gewicht verleiht. In den USA geht das Rennen um die Präsidentschaft in die heiße Phase: In 50 Tagen wird gewählt. Obamas Herausforderer um das Präsidentenamt, Mitt Romney, dürften die Aussagen des israelischen Ministerpräsidenten gelegen kommen – er will den Wählern vermitteln, dass Obama in Sachen Außenpolitik zu nachgiebig ist.

Netanjahu hält daran fest, dass der Iran eine existenzielle Bedrohung für Israel darstellt. Romney wirft Obama vor, dass er nicht hart genug mit dem Iran umspringt. Allerdings sagte Romney nicht, was er anders machen würde. In der Sache ist er sich eigentlich einig mit dem Präsidenten, denn auch Obama will dem Iran den Besitz von Atomwaffen verwehren. Zudem haben weder Romney noch Obama ein militärisches Eingreifen der USA gegen den Iran in Aussicht gestellt.

Israel und die USA werfen dem Iran vor, am Bau einer Atombombe zu arbeiten. Allerdings hält Obama daran fest, dass die gegen den Iran verhängten Sanktionen erst ihre Wirkung entfalten müssen. Netanjahu hält dagegen, dass die Zeit knapp werde und Washington daher schnell handeln müsse. Er sprach von einer „roten Linie“, die von der US-Regierung gezogen werden müsse, um dem Iran unmissverständlich klar zu machen, dass die USA im Härtefall auch die Waffen sprechen lassen würden.

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Netanjahu, der selbst mehrere Jahre in den USA lebte und zeitweise für dasselbe Unternehmen wie Romney arbeitete, hat den Vorwurf zurückgewiesen, er mische sich in den Wahlkampf ein. Auf die Frage, ob Romney der Kandidat sei, der die Sicherheit Israels gewährleisten könne, sagte Netanjahu: „Gott, ich werde mich nicht in den Wahlkampf einmischen. Meine Aussagen richten sich nicht nach dem amerikanischen Politkalender, sondern dem iranischen Atomkalender.“

Netanjahu bezog sich auf den Angriff auf das Konsulat der USA in der ostlibyschen Stadt Bengasi Anfang vergangener Woche und die weiteren gewaltsamen Demonstrationen in Nahost und Nordafrika gegen die USA wegen eines islamfeindlichen Videos. „Ein nuklear gerüsteter Iran würde bedeuten, dass es Fanatiker gäbe – der Art, die gerade eure Botschaften stürmen – die über Atomwaffen verfügen. Lasst es nicht zu, dass diese Fanatiker Atomwaffen erlangen“, sagte Netanjahu im Interview mit NBC.

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Romney warf Obama seinerseits vor, dass er gegenüber der arabisch geprägten Welt generell eine zu nachgiebige Politik verfolge und sich für die US-Außenpolitik entschuldige. In den ersten Stunden der antiamerikanischen Proteste der vergangenen Woche wurde seine Kritik schriller. Kurz vor dem Tod des US-Botschafters Chris Stevens und drei von dessen Kollegen in Bengasi, warf Romney Obama vor, er stehe nicht für amerikanische Ideale ein.

Für seine Bemerkungen geriet Romney allerdings umgehend in die Kritik, auch aus den eigenen Reihen der Republikaner. Er habe gesprochen, ohne die Fakten zu kennen und habe mit einer Tradition gebrochen, wonach Parteipolitik hinten angestellt werde, wenn sich in Übersee eine ernste Krise abspielt.

Die schwächelnde US-Wirtschaft ist weiterhin das wichtigste Wahlkampfthema. Während Umfragen darauf hindeuten, dass Obama auf diesem Gebiet Boden wett macht als derjenige Kandidat, der die US-Wirtschaft richtet, hat er weiterhin einen bequemen Vorsprung in Sachen Kompetenz in auswärtigen Angelegenheiten.

Romney hält die Unruhen in der islamisch geprägten Welt und die Angriffe auf US-Botschaften für einen legitimen Anlass, die Politik des Präsidenten infrage zu stellen. Dass ihm auch der israelische Regierungschef Netanjahu zur rechten Zeit Schützenhilfe leiste, dürfte ihn dabei nicht weiter stören.