Beim chinesisch-deutschen Gipfel in Peking sitzt die Finanzkrise stets mit am Tisch. Und nebenbei werden 50 Airbusse verkauft

Peking. Müde sieht Angela Merkel aus, finden zwei chinesische Journalisten nach der militärischen Begrüßung. Sie stehen vor dem Nordeingang der Großen Halle des Volkes, rauchen da draußen eine Zigarette (die Raucherweltmacht China hat das Qualmen im Sitz des chinesischen Parlaments verboten), und wenn man dort auf der Freitreppe einen Rundblick wirft, liegt der Eindruck von Müdigkeit vielleicht am Wetter. Es sind 30 Grad und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit, und schwerer Smog hat sich pünktlich zu den zweiten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen über Peking gelegt.

Schon bei der Ankunft am Flugplatz ist das Flughafengebäude im Dunst nur verschwommen wahrzunehmen. Drei Luftwaffen-Airbusse stehen dort draußen, so viele auf einmal wie noch nie bei einem Besuch. Angela Merkel und Vizekanzler Philipp Rösler reisten in einem Airbus 340, die für Finanzen und Technologie und Umwelt zuständigen Minister in einer weiteren solchen Maschine - und Außenminister Guido Westerwelle ist nachts um drei Uhr aus dem kasachischen Astana gelandet. Da passt es, dass in der öden Weite der gigantischen Halle des Volkes eine chinesische Blaskapelle "Alle Vöglein sind schon da" übt. Sie sind tatsächlich fast alle da, die Berliner Vöglein. Mit 150 Personen ist die Bundesregierung nach Peking geflogen, 20 wichtige Unternehmer, Vorstandschefs und auch das umfangreiche Sicherheitspersonal mit eingerechnet. Die Wirtschaftsvertreter haben dann auch Verträge über mehr als sechs Milliarden US-Dollar (4,8 Milliarden Euro) unterschrieben. Der europäische Flugzeugbauer Airbus besiegelte den Verkauf von 50 neuen Maschinen des Typs A320. Auch wurde die Fortsetzung der Endmontage von Airbussen in China über das Jahr 2016 hinaus vereinbart, was auf 1,6 Milliarden US-Dollar beziffert wurde.

Vor allem aber möchte Chinas Premier Wen Jiabao zum Abschluss seiner zehnjährigen Amtszeit die wichtigste europäische Macht als Dialogpartner institutionalisieren. Er möchte auch sehr erkennbar Deutschland zeigen, dass er sich um Griechenland große Sorgen macht. Als Merkel bei der Pressekonferenz betont, Deutschland und Europa würden alles tun, um die Glaubwürdigkeit des Euro wiederherzustellen (das Wort "Glaubwürdigkeit" verwendet sie demonstrativ mehrmals), nickt Wen Jiabao heftig.

Es lässt sich leicht ausmalen, warum. China hat in Griechenland investiert, dann nach den Reformeinschnitten dort erklecklich Geld verloren. Chinas Sorgen sind eigennützig. Seine Volkswirtschaft, für die Europa der größte Handelspartner, Investor und Technologielieferant ist, leidet selbst an Wachstumsschwäche. Jeder weitere Einbruch in Europa zieht China weiter mit hinab. Nach chinesischen Angaben fiel der China-EU-Gesamthandel im Juli um 8,9 Prozent zum Vorjahresmonat. Chinas Exporte brachen um 16,6 Prozent ein. Wen Jiabao versprach daher, dass Chinas Regierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Konsolidierung des Euro unterstützt und dafür weiter mit der Europäischen Zentralbank (EZB) zusammenarbeitet und sich mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) abstimmt. "China ist weiter bereit, in europäische Staatsanleihen zu investieren, wenn es die Bedingungen zulassen."

Für Wen steht auch seine Politik der Öffnung Chinas auf dem Prüfstand. Zumindest die von ihm aktiv mit vorangetriebene Politik des Investitionsengagements im Euro-Raum. Es gibt in der 60 Millionen Mitglieder starken Kommunistischen Partei natürlich Kräfte, die diese Investitionen als einen Ausverkauf Chinas an unsichere Kantonisten sehen. Man soll daher die innenpolitische chinesische Dimension des Euro-Themas nicht unterschätzen. Die von Merkel beschworene Glaubwürdigkeit ist auch eine Stützung derjenigen Kräfte in China, die eine weitere Öffnung befürworten.

Die Kanzlerin wiederum möchte bei ihrem 24-Stunden-Besuch und vor der Bundestagswahl die Führungsmacht Asiens mit der Neuformierung Europas vertraut machen. Sie möchte zudem, das ist ebenfalls wichtig, einige Stolpersteine auf dem Weg zu einem verlässlichen Verhältnis mit der Volksrepublik aus dem Weg räumen. Sie möchte das tun, bevor der keineswegs ganz reibungslose Machtwechsel zu einer neuen Generation Pekinger Spitzenpolitiker solche Wegbegradigung womöglich schwieriger macht als derzeit. Den drohenden Handelskrieg um die etwas schamlose Dumping-Offensive der jungen chinesischen Solarindustrie zum Beispiel - diesen Handelskrieg soll es nicht geben. Das bekräftigt Merkel nach der Plenarsitzung. Das Thema soll durch Gespräche aus der Welt gebracht werden, genauso wie die Frage der Schikanen für deutsche Journalisten in China, prominente Menschenrechtsfälle oder die leidige Frage der indirekten Industriespionage durch einen aufwendigen Zertifizierungsprozess deutscher Güter. Auch der Umgang Pekings mit Seltenen Erden, von denen China ziemlich viel besitzt und plötzlich ziemlich teuer verkaufen möchte, verdient einen vertieften Dialog. Der Preisschub auf dem Gebiet ist für die deutsche Energiewende nicht völlig ohne Belang, denn Windparks brauchen viele solche Seltenen Erden, damit sie funktionieren.

Miteinander reden ist in allen diesen Fällen besser, als einander zu verklagen - vor Gericht oder gar vor der Uno. Das klingt so selbstverständlich, ist es aber nicht. Schon gar nicht in China, das noch immer die westliche Bevormundung vor hundert Jahren zum Bestandteil seines Gedächtnisses zählt. Was ist der Ertrag der Ministerrunden? Es wird ein deutsches Generalkonsulat in der Mandschurei geben und ein Goethe-Institut in Shanghai. China gründet womöglich eine chinesische Handelskammer in Deutschland. Nach dem deutsch-chinesischen Kulturjahr wird es nun ein Sprachjahr geben. Eine Reihe Abkommen wird unterzeichnet, zumeist zum Umweltschutz. Die Substanz mag eher gering sein, das Programm wurde in letzter Minute fertig, noch Sekunden vor der Unterzeichnung sucht eine chinesische Protokolldame lautstark diejenigen, die gleich bei der Signierung der Abkommen helfen sollen - aber es kommt auf den dauerhaften Prozess des Redens und Zuhörens und der Kompromisse aus Einsicht an. Solche Einsichtsprozesse dauerhaft zu machen ist ein Lieblingsthema Merkels.

Die Kanzlerin besucht als große Ehre nach Wen Jiabao noch den amtierenden Präsidenten und Parteichef Hu Jintao sowie die beiden kommenden starken Männer Pekings, den künftigen Partei- und Staatschef Xi Jinping sowie Wens Nachfolger Li Keqiang. Als einzige ausländische Regierungschefin erhält sie vor dem KP-Parteitag im Oktober somit die Chance, alle maßgeblichen Politiker an einem Tag zu sehen. US-Außenministerin Hillary Clinton, die am Dienstag eintrifft, hat nicht dieses große Protokoll.

Mittags kommt die Sonne doch noch durch, aber nur als heller Ball am grauen Himmel. "Das ist nicht der Mond", scherzt einer aus der Begleitung. Es ist noch heißer geworden. Wie gut, dass Umweltpolitik beim deutsch-chinesischen Dialog eine so herausragende Rolle spielt.