Das Land am Kap gedenkt der 44 Toten der Streikunruhen. Regierung Zuma in der Kritik

Hamburg. "Die Situation in Südafrika ist eine tickende Zeitbombe", sagte Patrick Craven, Sprecher des südafrikanischen Gewerkschaftsdachverbandes Cosatu. Das riesige Land am Kap, fast viermal so groß wie Deutschland, steht zugleich unter Schock und unter Spannung. Das von den Medien so getaufte "Massaker von Marikana", bei dem die Polizei am vergangenen Donnerstag 34 streikende Arbeiter einer Platinmine erschossen und 78 verletzt hatte, nachdem zuvor schon bei blutigen Streikunruhen zehn Menschen getötet worden waren, gilt als schlimmster Vorfall seit dem Ende des Apartheidregimes 1994.

Gestern wurde landesweit in zahlreichen Zeremonien und Trauergottesdiensten der Todesopfer gedacht, Kirchenführer und Regierungsmitglieder bemühten sich, die aufgeheizte Stimmung im Land abzukühlen. Bislang mit wenig Erfolg. Die Unruhen drohen sich auf weitere Minen auszuweiten.

Die schwelende Krise bedroht auch die politische Zukunft von Staatspräsident Jacob Zuma. Seit 2009 ist der Skandalpolitiker im Amt, und der 70-jährige Zuma will sich von der Regierungspartei African National Congress (ANC) im Dezember für eine zweite Amtszeit aufstellen lassen. 2014 sind Wahlen. Seine Gegner schießen sich bereits auf den Mann ein, dem man unter anderem Korruption, Vergewaltigung und Brutalität als früheren ANC-Geheimdienstchef vorgeworfen hat.

Der ehemalige ANC-Jugendvorsitzende Julius Malema, der von Zuma nach einem Machtkampf gefeuert worden war, lastete dem Präsidenten sogar die direkte Verantwortung für die Toten von Marikana an: "Präsident Zuma hat unsere Menschen umgebracht. Zuma und seine Regierung werden noch mehr Menschen umbringen. Selbst heute haben sie erklärt, dass sie nichts bereuen." Malemas letzter Satz bezog sich offenbar auf die Aussage von Südafrikas Polizeichefin Mangwashi Victoria Phiyega, dass die Polizei nichts bereuen sollte. Zuma beeilte sich jedoch, "Schock und Entsetzen" zu bekunden und eine Untersuchung anzukündigen.

Vordergründig ist die schlechte Lage der Minenarbeiter in Südafrika wie auch die allgemeine Misere für die Krise verantwortlich. 18 Jahre nach dem Ende der Apartheid reißt die Kluft zwischen Arm und Reich weiter auf als in kaum einem anderen Land; Millionen sind bitterarm; die Führungselite gilt als weitgehend korrupt und verantwortungslos.

Südafrikas Minen produzieren 80 Prozent des weltweit gewonnenen Platins. Doch die Preise für das Edelmetall waren vor der Streikkrise dramatisch gefallen, das zwingt die Unternehmen zu Sparmaßnahmen. Der Konzern Aquarius Platin hat bereits zwei unrentable Minen geschlossen. Eine Million Menschen sind in Südafrika im Bergbau beschäftigt, Löhne und Arbeitsbedingungen gelten als teilweise skandalös; nach Statistiken der Gewerkschaften sollen allein zwischen 1984 und 2005 mehr als 11 000 Minenarbeiter ums Leben gekommen sein.

Parallel dazu heizt eine gefährliche Rivalität zwischen der regierungsnahen Gewerkschaft National Union of Mineworkers (NUM) und der weit radikaleren Association of Mineworkers and Construction Union (Amcu) die Krise an. Die Amcu setzt bei ihrem Protest auch Gewalt ein.

Im Falle der Platinmine in Marikana bei Rustenburg, 100 Kilometer nordwestlich von Johannesburg, die zum britischen Konzern Lonmin gehört, hatte Amcu für die besonders belasteten Bohrhauer eine Gehaltserhöhung von umgerechnet etwa 530 auf 1220 Euro gefordert. 3000 der 28 000 Bergarbeiter hatten sich einem Streik angeschlossen. Es kam zu blutigen Auseinandersetzungen mit NUM-Anhängern und der Polizei; zehn Menschen starben, darunter zwei Polizisten, die mit Macheten zerstückelt wurden. Lonmin und die Polizei erklärten die Verhandlungen für gescheitert; das Unternehmen blieb hart und drohte den Streikenden mit Kündigung.

Am 16. August stürmten mit Speeren, Macheten und Gewehren bewaffnete Amcu-Mitglieder und ihre Frauen gegen einen Kordon der Polizei an. Amcu-Chef Joseph Mathunjwa erklärte: "Wie gehen nirgendwohin. Wir sind bereit, hier zu sterben." Die Beamten feuerten schließlich scharf in die Menge. Polizeiminister Nathi Mthethwa sprach von "legitimer Selbstverteidigung".