Staat, Polizei und Neofaschisten machen in Griechenland gegen das Heer illegaler Einwanderer Front. Bereits 6700 Migranten festgenommen.

Athen. Es wird teurer, wenn man sich als Migrant von Schlepperbanden aus der Türkei nach Griechenland schleusen lassen will. Bis vor Kurzem kostete der illegale Grenzübertritt pro Kopf 2500 bis 3000 Euro. Nun haben die Menschenschmuggler den Preis auf 5000 Euro erhöht, zumindest schreibt das die Zeitung "To Vima" unter Berufung auf Migrantenorganisationen.

Der Grund für die Verteuerung ist eine Polizeioperation namens "Ausländer Zeus", die vorige Woche angelaufen ist. Seither wurden allein in Athen 6700 Migranten festgenommen, gegen 1555 davon wurde Haftbefehl erlassen, weil sie keine gültigen Aufenthaltspapiere hatten. Auf Athens Straßen sind seither kaum noch Einwanderer zu sehen. Sie haben Angst, verstecken sich in ihren Wohnungen oder bei Freunden.

Ob es an den gestiegenen Preisen liegt oder an verschärften Kontrollen entlang der Grenze zur Türkei, von wo die meisten Migranten ins Land gelangen: An der türkischen Grenze ist die Zahl der aufgegriffenen Einwanderer seit Beginn der Operation stark gesunken. Am 4. August wurden noch 500 Illegale festgenommen, seither sank die Zahl täglich und deutlich - vom 8. bis 10. August waren es nur noch 27.

Mit spektakulären Aktionen gegen illegale Einwanderer will die neue konservative Regierung unter Ministerpräsident Antonis Samaras verhindern, dass die rechtsextremen Kräfte im Land weiteren Zulauf erhalten. Allen voran die Partei Goldene Morgendämmerung, die bei den Wahlen im Mai und Juni mit sieben Prozent der Stimmen ins Parlament einziehen konnte. Samaras will aber auch ein großes Problem mit gesellschaftlicher Sprengkraft lösen: Von allen Ländern Europas leidet Griechenland wohl am meisten unter einem Strom illegaler Einwanderer, den weder die Politik noch die krisengeplagte Gesellschaft verkraften kann.

+++ EU-Bericht: Griechische Grenze ist "Brennpunkt" +++

+++ Mehr Beamte an Griechenlands Grenzen statt neuer Kontrollen +++

Mehr als eine Million Ausländer leben in Griechenland, bei 10,7 Millionen Einwohnern sind das gut zehn Prozent der Bevölkerung. 600 000 dieser Einwanderer sind illegal im Land. Wie groß das Problem ist, zeigt die Zahl der Festnahmen wegen illegalen Grenzübertritts: 756 000 waren es seit dem Jahr 2006 bis zum Juni dieses Jahres.

Auch andere europäische Länder verzeichnen wachsende Zuwanderung und hohe Migrantenanteile. Aber meist hat sich diese Zuwanderung über Jahrzehnte hinweg entwickelt. In Griechenland kam alles auf einen Schlag: Erst in den 90er-Jahren setzte die erste Einwanderungswelle ein, damals kamen vor allem Albaner. Aber den größten Ansturm erlebte das Land nach den Olympischen Spielen im Jahr 2004. Die Zeitung "Kathimerini" zitiert einen nicht namentlich genannten Regierungsfunktionär, der mit Einwanderungsfragen befasst ist: "Niemand hatte bei uns damit gerechnet, dass die Olympischen Spiele eine Migrantenwelle auslösen würden. Die schönen Olympia-Bilder wurden in alle Welt ausgestrahlt, Griechenland sah plötzlich aus wie das gelobte Land und schien erreichbar. Noch während der Spiele kamen Tausende Migranten aus Asien und Afrika über die türkische Grenze. Ab 2005 wurde es noch schlimmer, auch weil die Türkei nach und nach Visumsfreiheit für alle möglichen Länder im Nahen Osten, Afrika und Zentralasien einführte. Diese Leute gingen dann weiter, zu uns."

Seit der Wirtschaftskrise ist das Problem den Griechen endgültig über den Kopf gewachsen. Die meisten Migranten haben keine Chance auf reguläre Jobs oder gültige Papiere. Drogenhandel, Prostitution und Kriminalität prägen die Stadtteile, in denen Einwanderer leben. Die Reaktion ist Angst und Wut bei den Griechen. Zu einem gewissen Grad machen sie - und zunehmend auch die Regierung - die Einwanderer zum Sündenbock für alles, was im Argen liegt. Die meisten Griechen nehmen es lediglich zur Kenntnis, dass es immer mehr gewalttätige Angriffe von Rechtsextremen gegen Ausländer gibt - und begrüßen es insgeheim. Für die Migranten bedeutet all das, dass sie gefangen sind zwischen einer Regierung, die sie aus dem Land drängen will, und Schlägerbanden, die Jagd auf sie machen. Sie sind Freiwild. Und mit Freiwild kann man machen, was man will.

Im Zentrum Athens ist am Sonntag ein irakischer Einwanderer angegriffen und tödlich verletzt worden. Er sei mit einem scharfen Gegenstand attackiert worden, teilte die Polizei mit. Mehrmals hätten die Täter auf ihn eingestochen. Wenige Stunden nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus sei der Mann seinen schweren Verletzungen erlegen.

Tea ist eine junge Frau aus Georgien. Schon seit 20 Jahren lebt sie mit ihrer Mutter und ihrem achtjährigen Sohn in Athen. Sie hat zwei Jobs, als Sekretärin und Übersetzerin, und arbeitet fast rund um die Uhr, um sich über Wasser zu halten. "Nie hatte ich Probleme - bis zu den ersten Wahlen im Mai, als die faschistische Morgendämmerung plötzlich aufkam", sagt sie. Ein 40 Jahre alter Nachbar stellte ihr nach, wollte mit ihr schlafen. Als sie sich weigerte, offenbarte er sich per Mitgliedskarte als neuerdings großspuriger Anhänger der "Morgendämmerung": "Wenn du nicht gehorchst, fliegst du hier raus, verdammte Migrantin."

Nächtliches Hämmern an ihrer Tür, Terrorisierung des Kindes - sie ging zur Polizei. Am nächsten Tag erschien der Mann unter ihrem Fenster mit Polizisten der örtlichen Wache: "Siehst du nun, wer meine Freunde sind?" Tea hat ihrem Sohn verboten, die Wohnung zu verlassen (außer demnächst für die Schule), und kann kaum noch schlafen. Ihr Peiniger ist arbeitslos, die Krise hat offenbar das Schlechteste in ihm zutage gebracht. Es ist im Kleinen das, was derzeit mit Griechenland insgesamt passiert.