Hilfsorganisation World Vision schätzt Lage immer prekärer ein. Reserven vieler Flüchtlinge aufgebraucht. Keine Auffanglager im Libanon.

Aleppo. Die Situation der syrischen Flüchtlinge im Libanon wird nach Einschätzung der Hilfsorganisation World Vision immer prekärer und droht, die Lage in dem früheren Bürgerkriegsland zu destabilisieren. Viele Flüchtlinge hätten ihre Reserven inzwischen aufgebraucht und wüssten kaum noch, wovon sie Miete und Lebensmittel bezahlen sollten, sagte Marc-Andre Hensel von der Hilfsorganisation World Vision, der sich derzeit in Beirut aufhält, am Freitag.

Anders als im Irak, der Türkei oder Jordanien existierten im Libanon keine Flüchtlingslager, da die Regierung dies nicht zulasse. Flüchtende Syrer kämen daher bei Gastfamilien, Freunden und Bekannten unter oder mieteten selbst Unterkünfte. Diese seien jedoch teilweise überteuert und in desolatem Zustand.

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Die besser betuchten Flüchtlinge gingen in die libanesische Hauptstadt Beirut oder reisten nach Ägypten aus, die normalen Leute dagegen blieben häufig in der Bekaa-Region im Osten des Landes nahe der syrischen Grenze und versuchten, dort ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. „Das können sich die Menschen zum Teil jetzt so leisten, aber das wird immer schwieriger, weil die Reserven aufgebraucht sind und sie Arbeit finden müssen“, sagte Hensel. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt sei im Libanon jedoch schon für die Einheimischen sehr angespannt. „Die Flüchtlinge versuchen, sich mit Tagelöhnerarbeit durchzuschlagen, haben mal zwei Tage einen Job, dann wieder nicht, müssen aber dennoch Mieten, Essen und sonstige Dinge bestreiten für ihre Familien“, sagte Hensel. Er habe Unterkünfte gesehen, wo drei Familien in zwei Zimmern unter inakzeptablen sanitären Bedingungen gelebt hätten.

Die Flüchtlinge benötigten vor allem Hygieneartikel, Decken, Matratzen und Kleidung. „Viele sind ohne jegliches Hab und Gut rübergekommen, andere konnten mit dem Auto rüberkommen und haben dementsprechend Dinge mitgebracht, da haben wir die ganze Bandbreite“, sagte Hensel. Die beim UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR registrierten Syrer erhielten Lebensmittelgutscheine und würden medizinisch versorgt, die Lage der nicht registrierten Flüchtlinge sei schwieriger. „Nicht alle Flüchtlinge lassen sich registrieren, weil sie Angst haben, später Repressalien ausgesetzt zu werden“, erklärte Hensel.

Zudem verschärfe sich die Situation, je länger der Konflikt in Syrien andauere. „Es treten immer mehr Spannungen auf zwischen Flüchlingen und Libanesen, weil die Gastfamilien natürlich jetzt auch immer weniger Mittel haben, um die Flüchtlinge zu versorgen“, sagte Hensel. Die Bekaa-Region lebe stark vom Handel mit Syrien, der momentan jedoch eingefroren sei. Dadurch verringere sich das Einkommen vieler Libanesen. „Zudem möchte auch die libanesische Regierung gar nicht, dass es Flüchtlinge in der Bekaa-Region gibt, da die Region ohnehin schon sehr politisch angespannt und schwierig ist“, sagte Hensel. Daher erhielten die Flüchtlinge in der Bekaa-Region anders als die Syrer weiter im Norden oder in Beirut auch keine staatlichen Hilfen.

„Je länger sich der Konflikt in Syrien hinzieht, wird die Gefahr immer größer, dass sich das auch auf Libanon ausweitet“, warnte Hensel. In einigen Gebieten seien bereits vermehrt Zusammenstöße zwischen Angehörigen unterschiedlicher religiöser Strömungen zu beobachten. Das Problem sei, dass sich durch den Zustrom der Flüchtlinge die Machtverhältnisse in manchen Gegenden änderten.

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Nach Hensels Angaben hat das UNHCR etwa 35.000 Flüchtlinge im Libanon registriert, etwa 12.000 von ihnen in der Bekaa-Region. Die Dunkelziffer dürfte aber deutlich höher liegen, in der Bekaa-Region sogar doppelt so hoch. Insgesamt sollen rund zwei Millionen Syrer vor dem Bürgerkrieg auf der Flucht sein, die Hälfte von ihnen als Flüchtlinge im eigenen Land. Das bisherige Spendenaufkommen deckt allerdings nach Angaben von „Aktion Deutschland Hilft“, eines Bündnisses deutscher Hilfsorganisationen, noch nicht einmal die Kosten der laufenden Hilfsmaßnahmen. Die Organisation World Vision unterstützt in der Bekaa-Region nach eigener Aussage mehrere tausend Familien.