Regierung erwägt Verzicht auf gesetzliche Versicherung. Genossenschaftliches Modell wird nun als Alternative gehandelt.

Hamburg. Ein Vergleich des NS-Terrorregimes unter Adolf Hitler mit der Administration des US-Präsidenten Barack Obama ist hochgradig absurd, sollte man meinen.

Doch sieht sich Obama zu seinem Entsetzen derzeit auf Veranstaltungen mit Fotos konfrontiert, die ihn in Nazi-Uniform und Hitler-Bärtchen zeigen.

Der erzkonservative Moderator Glenn Beck, ein notorisches Schandmaul, hat den Präsidenten im Fernsehen einen "Rassisten" genannt, und sein Kollege Rush Limbaugh, der Großmeister der ultrarechten Demagogie, stellte gar einen direkten NS-Vergleich her: "Adolf Hitler herrschte auch per Diktat - wie Barack Obama." Auch sehe das Logo von Obamas Gesundheitsreform aus wie die Reichsadler-Standarte. Tatsächlich ist mit genügend Niedertracht eine gewisse Ähnlichkeit zu erkennen - eine Steilvorlage für den rechten Flügel der Republikaner.

Barack Obamas Plan für eine Billionen Dollar teure Gesundheitsreform, deren Kern eine Krankenversicherung für all jene rund 50 Millionen Amerikaner vorsieht, die derzeit überhaupt keinen Schutz genießen, hat zu einem grotesken Kulturkampf in den USA geführt. Sein Projekt ist den Rechten zu liberal - also dämonisieren sie Obama als Nazi.

Man könnte die Vorgänge als irrwitziges Polit-Theater abtun - doch die massiven Angriffe auf Obama seitens der Konservativen und ihnen gewogener Konzerne zeigen politische Wirkung.

Zum ersten Mal ließen nun zwei Top-Leute aus Obamas Regierung - Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius und der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs - erkennen, dass Obama auf die geplante staatliche Krankenversicherung als Alternative zu teuren privaten Versicherungen verzichten könnte. Sebelius sagte im Fernsehen, man könne sich auch ein genossenschaftlich organisiertes System vorstellen. Hierbei könnten genossenschaftlich organisierte Versicherungsgesellschaften vom Staat mit mehreren Milliarden Dollar eine Anschubfinanzierung erhalten, danach aber unabhängig von staatlichem Einfluss operieren.

Der Kompromiss, eine Niederlage für Obama, könnte die begehrten republikanischen Stimmen im Kongress einbringen - doch er beschädigt das Herzstück der sozialen Reformen Obamas. Die Industrie habe ihr wichtigstes Ziel bereits erreicht - nämlich eine staatlich verwaltete Versicherung zu blockieren, schrieb "BusinessWeek". Denn eine solche Versicherung hätte die marktbeherrschenden Konzerne Amerikas Anteile kosten können.

Doch die Debatte um die Reformen geht viel tiefer, ist Indiz für einen fundamentalen Dissens, der schon nicht mehr nur politisch, sondern ideologisch ist.

Es geht um die zentrale Frage, welche Rolle der Staat in der amerikanischen Gesellschaft spielen soll. Nachdem Obama mit seinem Konjunktur- und Rettungspaket bereits massiv in die privatwirtschaftlichen Strukturen der USA eingegriffen hat, befürchten die Rechten nun einen Umbau ihrer Gesellschaft nach europäischem Vorbild. Millionen amerikanische Konservative verabscheuen "Big Government" und damit jegliche regulierenden Eingriffe Washingtons. Viele befürchten zudem, dass die teure Reform am Ende über massive Steuererhöhungen finanziert werde - eine Angst, die von den Konservativen aus Leibeskräften geschürt wird.

Der Parteichef der Republikaner, Michael Steele, sprach von einer "sozialistischer Verschwörung" der Demokraten. Doch zur Verleumdung Obamas eignet sich die Nazi-Folie immer noch am besten. Sarah Palin, die gescheiterte Vizepräsidentschaftskandidatin der Republikaner, behauptete gar, Obamas Gesundheitsreform beinhalte Euthanasie nach NS-Vorbild. Es sei ein "Todestribunal" vorgesehen, vor das Millionen schwer kranke Senioren gezerrt werden würden - um zu entscheiden, ob es sich noch lohne, sie zu behandeln. Tatsächlich will der Staat nur die Kosten ärztlicher Beratungen übernehmen - etwa zu Hospizpflege oder Patientenverfügungen.

Derweil tourt Obama durch die USA, um für die Gesundheitsreform zu werben. Und sagte im Rundfunk, das bisherige System in den USA sei für die Konzerne besser als für die Bürger. Es gebe den "dringenden Bedarf", dieses "kaputte System" zu reparieren. Der Streit um die Gesundheitsreform werde inzwischen auf einen "Kampf zwischen Hoffnung und Angst" reduziert.