Der Präsident gönnt sich nur eine kurze Auszeit von der Krise. Ende kommender Woche wird US-Präsident Barack Obama mit seiner Familie einige Tage auf der Insel Martha's Vineyard verbringen, dem eleganten Tummelplatz der Ostküstenelite.

Washington. Denn der konservative Teil Amerikas probt den Aufstand gegen den Präsidenten, dessen Führungskraft zunehmend infrage gestellt wird.

Die Republikaner werten die lautstarken Proteste, die sich derzeit überall im Land gegen Obamas Gesundheitsreform richten, als spontane Reaktion auf eine völlig verfehlte Politik. Obamas Demokraten indes sprechen von gesteuerten Mobs, welche die Lobbyinteressen der Versicherungskonzerne vertreten und dem Präsidenten eine Niederlage bereiten wollen.

Die Debatte reicht inzwischen aber weit über die Gesundheitsreform hinaus, mit der Obama 50 Millionen nicht versicherten Amerikanern Schutz im Krankheitsfall verschaffen will. Den Kritikern geht es ums Prinzip: Sie werfen Obama vor, durch den geplanten Eingriff ins Gesundheitswesen das Verhältnis von Staat und Gesellschaft neu austarieren zu wollen und damit das uramerikanische Ideal der Freiheit des Bürgers vor staatlicher Bevormundung auszuhöhlen.

Dabei wird die Auseinandersetzung hoch ideologisch geführt. Der einflussreiche konservative TV-Moderator Glenn Beck von FoxNews etwa schmäht Obama mal als "Marxisten" und mal als "Nazi", der populäre Radio-Hetzer Rush Limbaugh schlägt Obama vor, das Hakenkreuz als Logo zu nutzen. Politisch versierte Beobachter mögen solche Rhetorik als närrisch belächeln, doch viele Politiker müssen dieser Tage erleben, dass die Parolen beim Bürger hängen bleiben und große Unruhe hervorrufen.

Landesweit werden Obamas Parteifreunde derzeit auf Bürgerforen niedergeschrieen. Der erfahrene Senator Arlen Specter wurde diese Woche in Pennsylvania ausgebuht. Senatorin Claire McCaskill wurde in Missouri durch aggressive Zwischenrufe am Reden gehindert. Der 83-jährige Abgeordnete John Dingell wurde in Michigan in einer Weise von Bürgern beschimpft, die die Zeitung "Detroit Free Press" konsterniert als "unentschuldbare Respektlosigkeit" wertete.

Gefährlich für Obama ist, dass die Bereitschaft der demokratischen Abgeordneten, die Gesundheitsreform mit ihren Stimmen zu verabschieden, angesichts des öffentlichen Unmuts sinken dürfte - im kommenden Jahr sind Kongresswahlen. Möglicherweise rächt sich nun ein taktischer Schachzug, mit dem Obama eigentlich die Reform durchsetzen wollte: Das Weiße Haus legte keinen eigenen Entwurf für die Reform vor, sondern beauftragte die Abgeordneten im Kongress mit der Ausarbeitung. Dort existieren nun verschiedene Vorlagen, von denen keine mehrheitsfähig erscheint.