Mit Jacques Chirac wurde erstmals ein ehemaliger Staatspräsident verurteilt. Das Urteil wurde am Donnerstag in Abwesenheit von Chirac verkündet.

Paris. Knalleffekt am Ende eines historischen Prozesses: Mit der Verurteilung von Ex-Präsident Jacques Chirac hat die französische Justiz gestern ein starkes Signal ausgesendet. Zwar fiel die Strafe mit zwei Jahren zur Bewährung eher milde aus, aber die Botschaft war klar: Auch die Notabeln der Republik sind nicht mehr sicher vor Strafverfolgung. Dabei schien der Kurs bei diesem ungewöhnlichen Prozess bereits klar abgesteckt. Die Staatsanwaltschaft hatte auf Drängen von höchster Stelle auf Freispruch plädiert. Mehr als 15 Jahre waren die Vorwürfe wegen Vertrauensbruchs, Hinterziehung öffentlicher Mittel und illegaler Einflussnahme folgenlos. In den ersten beiden Anklagepunkten befand das Gericht Chirac jetzt für schuldig.

Bereits zu Prozessbeginn im März trat Chirac, 79, unter Hinweis auf gesundheitliche Probleme nicht persönlich vor Gericht auf. Ärzte hatten ihm Gedächtnislücken attestiert. Auch zum erneuten Auftakt seines Prozesses, der um mehrere Monate vertagt worden war, ließ er sich entschuldigen. Das Verfahren fand schließlich ohne Chirac statt. Umso größer die Überraschung an dessen Ende: Ein Teil der Öffentlichkeit freute sich über eine "historische Entscheidung" der Justiz und einen Beweis für eine reife Demokratie.

In dem Verfahren ging es um Vorgänge aus Chiracs Zeit als Bürgermeister von Paris (1977-1995) und die Frage, ob er damals 28 Parteifreunde auf Kosten der Stadtverwaltung mit zum Teil üppigen Gehältern versorgt hat. Es ging um Skandale zu einer Zeit, als Vetternwirtschaft in der eigenen Partei noch augenzwinkernd als eine Art Kavaliersdelikt toleriert wurde.

Die Affäre traf auch andere. Chiracs damalige rechte Hand etwa, den heutigen Außenminister Alain Juppé. Er wurde schon früher zu 14 Monaten Haft auf Bewährung und zu einem zeitweisen Verlust der Wählbarkeit verurteilt. Chirac, der im Laufe seiner Karriere so gut wie alle wichtigen politischen Ämter innehatte, genoss als Präsident Immunität und konnte sich deshalb vor Strafverfolgung zunächst sicher wähnen. Seine konservative RPR, die Vorgängerpartei der heutigen Regierungspartei UMP, arrangierte sich mit der Stadt Paris durch die Zahlung von 2,2 Millionen Euro. Mit dem Gentlemen's Agreement hoffte man bereits, glimpflich davongekommen zu sein. Wäre da nicht eine Antikorruptionsorganisation gewesen, die hartnäckig auf einem Prozess beharrte und damit durchdrang.

Im Fall Chirac wurde das Recht nicht der Staatsräson geopfert, wie viele befürchtet hatten. Frankreichs Justiz habe bewiesen, so lauteten die ersten Reaktionen, dass auch ein ehemaliger Bürgermeister, Minister und Staatschef ein "citoyen" wie jeder andere sei. Nichts anderes hatte sich Chirac nach eigenem Bekunden gewünscht. Eines der medizinischen Gutachten an das Gericht war von einem Brief begleitet, in dem er betonte, er wolle von der Justiz wie jeder gewöhnliche Bürger behandelt werden.