Amnesty International fordert, den Gaddafi-Sohn an den Strafgerichtshof in Den Haag auszuliefern. In Libyen droht ihm die Todesstrafe.

Tripolis. Saif al-Islam , der Sohn des getöteten ehemaligen libyschen Machthabers Muammar al- Gaddafi , ist festgenommen. Mehrere voneinander unabhängige Quellen bezogen sich in ersten Meldungen über die Festnahme auf ein Mitglied der Regierung. Saif al-Islam wurde demnach im Süden des Landes aufgegriffen. Der amtierende libysche Justizminister Mohammed al Alagi bestätigte inzwischen die Festnahme des Gaddafi-Sohns.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat Libyens Führung unterdessen aufgefordert, den Gaddafi-Sohn an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag auszuliefern. Zuvor wurde er mit internationalem Haftbefehl gesucht worden. Hassiba Hadj Sahraoui, stellvertretende Direktorin des Nahost- und Nordafrikaprogrammes von Amnesty, sagte, Saif al-Islam al-Gaddafi „muss dem Strafgerichtshof ausgehändigt werden“. Zudem müsse seine Sicherheit garantiert werden, damit er „sich für seine mutmaßlichen Verbrechen vor einem fairen Gericht ohne Todesstrafe verantworten kann“.

Verantwortlich für seine Sicherheit sei die libysche Übergangsregierung, sagte sie und erinnerte an Tod des früheren libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi und seines Sohnes Mutassim unter ungeklärten Umständen. Der Chefankläger des Strafgerichtshofes, Luis Moreno-Ocampo, wirft der alten Staatsführung inklusive Saif al-Islam Morde an Hunderten Zivilisten, Folterungen, militärische Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten und gezielte Massenvergewaltigungen vor. Im Falle eines Schuldspruchs wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit könnte der Strafgerichtshof als Höchststrafe lebenslange Haft festlegen. Bei einem Verfahren in Libyen droht die Todesstrafe.

Saif al-Islam, dem zweitältesten der Gaddafi-Söhne, wird vom Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) vorgeworfen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben.

Der Festgenommene sei zusammen mit mehreren Leibwächtern in der Wüste bei Obari aufgegriffen worden, teilte der amtierende Justizminister Mohammed Al-Alagi weiter mit. Das libysche Fernsehen zeigte Saif al-Islam kurz nach seiner Festnahme in einem Beweisvideo lebendig. Nach Angaben des Senders Al Ahrar wurde die Szene mit einem Mobiltelefon aufgenommen. Zu sehen ist der zweitälteste Diktatoren-Sohn in Decken gehüllt auf einer Couch liegend. Die Finger seiner rechten Hand sind bandagiert. Bereits vor Wochen hatten libysche Medien fälschlicherweise die Festnahme oder auch den Tod Saif al-Islams gemeldet. Weitere hochrangige Mitglieder der gestürzten Regierung seines Vaters seien aber nicht gefasst worden.

Für die Festnahme zeichneten den Angaben zufolge Kämpfer aus Sintan verantwortlich. Ein Kommandeur der ehemaligen Rebellen sagte, in dieser Stadt solle der Gaddafi-Sohn vorerst festgehalten werden, bis er an eine Regierung übergeben werden könne. Mit der Bildung einer neuen libyschen Regierung wird in den kommenden Tagen gerechnet.

Im Oktober war aus Kreisen der libyschen Übergangsregierung verlautet, Saif al-Islam befinde sich an der Grenze zu Niger und Algerien und wolle mit Hilfe eines gefälschten Passes das Land verlassen. Die Region sei extrem schwierig zu überwachen.

Diktator Muammar al-Gaddafi war im Oktober zwei Monate nach seinem Sturz in der Stadt Sirte getötet worden. Nach Gaddafis Tod hieß es irrtümlich, auch dessen Lieblingssohn sei bei der Aktion ums Leben gekommen.

Saif al-Islam hatte lange Zeit als das liberale Gesicht des Despotenclans gegolten – smart, eloquent, weltmännisch. Nach dem Umsturz in Libyen trat er aber als Scharfmacher ins Rampenlicht. Seine letzten großen Auftritt hatte er Ende August, als er kurz nach der Eroberung von Tripolis durch die Rebellen mitten in der Nacht vor einem internationalen Hotel auftauchte und vor Journalisten den Sieg des Gaddafi-Regimes verkündete.

Im Oktober erklärte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, er stehe in Kontakt mit Saif al-Islam, der mit internationalem Haftbefehl gesucht wurde. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Saif al-Islam hatte zuvor erklärt, er sei bereit, sich dem Strafgerichtshof zu stellen.

Die Meldungen über sein Schicksal waren in den vergangenen Wochen so widersprüchlich wie das ganze Leben von Saif al-Islam. Lange Zeit galt der 1972 geborene zweitälteste Sohn von Muammar al-Gaddafi als das liberale Gesicht des Despotenclans - smart, eloquent, weltmännisch. Der Lieblingssohn des Revolutionsführers studierte in Tripolis, Wien und London Architektur und Wirtschaft, besaß mehrere Unternehmen, war gern gesehener Gast in der westeuropäischen Society und redete oft von Reformen.

Was davon zu halten war, zeigte sich, als der Umsturz in Libyen begann. Anfang Februar trat der Mann mit der hohen Stirn und der Brille plötzlich als Scharfmacher in Tripolis ins Rampenlicht. Kühl warnte Saif al-Islam, dessen Vorname mit „Schwert des Islam“ übersetzt wird, vor einem Islamisten-Staat, vor Chaos und Bürgerkrieg, falls der Aufstand nicht beendet werde.

Seither galt Saif al-Islam als Sprachrohr des Regimes, als Einpeitscher, der sich immer wieder mit Durchhalteparolen zu Wort meldete. Seinen letzten großen Auftritt hatte er Ende August, als er kurz nach der Eroberung von Tripolis durch die Rebellen mitten in der Nacht vor einem internationalen Hotel auftauchte und vor Journalisten den Sieg des Gaddafi-Regimes verkündete. Später verteufelte er aus dem Untergrund noch die Gegner des alten Regimes: „Geht zur Hölle Ihr Ratten und Nato“ rief er in einer im Oktober veröffentlichten Audio-Botschaft.

Bis zum Schluss wurde vermutet, dass sich Saif al-Islam an der Seite seines am 20. Oktober in der Heimatstadt Sirte getöteten Vaters versteckt hielt. Saif al-Islam war der letzte noch in Libyen flüchtige Gaddafi-Sohn. In den vergangenen Wochen war mehrfach gemeldet worden, er sei entweder getötet oder festgenommen worden.

Der 39-Jährige krönte seine Ausbildung in London mit einem Doktortitel. Die „New York Times“ beschrieb ihn als „das pro-westliche Gesicht Libyens und Symbol der Hoffnungen auf Reformen und Offenheit“.

Saif al-Islam war an jahrelangen Verhandlungen mit den USA und Europa beteiligt, an deren Ende Libyen seinen Verzicht auf Atomwaffen erklärte. Im Gegenzug beendete der Westen seinen Wirtschaftsboykott gegen das ölreiche Land. Dies machte den Weg frei für milliardenschwere Investitionen des Auslands in den libyschen Energiesektor.

Er war der letzte der sieben Söhne Gaddafis, dessen genauer Verbleib unklar war. Zwei Söhne flohen nach Algerien, einer ist in Niger. Zwei weitere Söhne starben während der Kämpfe zwischen Anhängern Gaddafis und Soldaten der Übergangsregierung. Mit Material von reuters, dpa und dapd