Den Rücktritt der hochrangigen Generäle nutzt der türkische Regierungschef, um auch das Militär unter seine Kontrolle zu bringen.

Istanbul. Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, und so zeigten viele türkische Zeitungen ein Foto von der Eröffnung der diesjährigen Sitzung des Obersten Militärrats. Da trifft die Militärführung mit den Spitzen der Regierung zusammen, um darüber zu entscheiden, wer befördert wird und wer nicht. Üblicherweise sitzen am Kopf des großen Tisches der jeweilige Generalstabschef und der Ministerpräsident. Diesmal aber thront Recep Tayyip Erdogan allein vor den Militärs.

Begründet wurde das damit, dass Generalstabschef Isik Kosaner am Freitag aus Protest gegen die Regierung zurückgetreten war, zusammen mit den Kommandeuren der Luftwaffe, des Heeres und der Marine. Nun amtiert als Generalstabschef der bisherige Kommandeur der Gendarmerie, Necdet Özel. Offiziell sind er und Erdogan Kovorsitzende des Rates. Aber Erdogan, so ist zu vernehmen, bestand darauf, sichtbar allein zu präsidieren. Özel wird voraussichtlich erst am Donnerstag offiziell Generalstabschef.

Die Fotos zeigen, worum es geht: Erdogan und seine islamisch geprägte Regierungspartei AKP wollen die säkulare Armee unter ihre Kontrolle bringen. Es ist die letzte Institution im Staat, die sie noch nicht in der Hand haben: Polizei, Justiz, Bildungswesen, Verwaltungsapparat - alles wird nach acht Jahren AKP-Herrschaft bereits von der Regierungspartei und ihrer Seilschaften gesteuert.

Hinter den Kulissen soll es heftig zugehen. Erdogan will entgegen den geltenden Senioritätsregeln offenbar sehr junge Offiziere aus niederen Rängen in hohe Führungspositionen hieven. Das berichtet die Zeitung "Hürriyet", und was da nicht steht, ist, dass nach Meinung von Militärexperten die größte Qualifikation dieser jungen Offiziere darin besteht, dass sie mit dem politischen Islam sympathisieren. "Das Problem der Regierung ist, dass es im Militär kaum Offiziere gibt, die islamisch denken", sagt Gareth Jenkins, Experte für das türkische Militär und den politischen Islam in der Türkei. "Es gibt einige jüngere Offiziere, aber die sind nicht hochrangig genug." Wenn es der Regierung gelingt, ihre Vorstellungen durchzusetzen, dann hätte sich der Generalstab mit seiner spektakulären Rücktrittsaktion verrechnet.

Der Rücktritt war offiziell damit begründet worden, dass die Militärführung ihre Untergebenen nicht mehr vor den - nach Meinung der Militärs - unrechtmäßigen und politischen Nachstellungen der Justiz schützen könne. Es war jedoch mehr als ein Protest - in den Rücktritten steckte die Drohung, dass weitere folgen könnten, wenn die Regierung das Militär nicht in Ruhe lässt. Gegenwärtig stehen mehr als 250 aktive und pensionierte Generäle und Offiziere vor Gericht, teilweise seit Jahren, die meisten davon unter dem Vorwurf, einen Sturz der Regierung geplant zu haben. Die Rücktritte vom Freitag waren als Warnung gedacht, dass Erdogan bald eine führungslose Armee haben werde, wenn das Militär weiter drangsaliert wird.

Freilich war es bislang das Militär, das in der Türkei drangsalieren durfte - was auf dem Spiel steht, ist die langjährige politische Vormachtstellung der Armee, die viermal zwischen 1960 und 1998 gewählte Regierungen stürzte. Die Frage ist, ob die Versuche der Regierung, diese Macht zu brechen, eine Befreiung darstellen, eine Demokratisierung - oder einfach nur der Errichtung eines genauso autoritären, aber diesmal islamisch gefärbten Systems dienen. "Das ist alles für Erdogan", sagt Levent, Filialleiter einer Bank in Istanbul. "Er hat schon die Gerichte und die Schulen, jetzt nimmt er sich auch die Armee. Am Ende wird er so sein wie ein Padischah, und die Türkei wird in zehn Jahren ein islamisch regiertes Land sein wie Malaysia." Levent, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung sehen möchte, meint aber auch, dass seine Sicht nur die einer Minderheit ist: "Das einfache Volk liebt Erdogan."

Zur Minderheit, die Angst vor einer Islamisierung hat, gehören neuerdings auch alle Lokalbesitzer der Istanbuler Innenstadt, selbst jene, die sich selbst als Muslime verstehen und bei den Wahlen für Erdogan gestimmt haben. Erst kam Erdogans Rauchverbot für öffentliche Innenräume, worauf alle Lokale ihre Tische auf die Straße setzten, wo man noch rauchen durfte. Dafür kassierte die Stadt saftige Gebühren, aber vor einer Woche kamen Polizeitrupps und räumten alles weg, luden Tische und Stühle auf Lastwagen und schlugen Kellner zusammen, die zu protestieren versuchten. "Es ist gegen Alkohol, weil jetzt gerade der Ramadan beginnt", meint ein Kellner eines Lokals, der seinen Namen ebenfalls nicht nennen will.

Die relative Mehrheit im Volk denkt eher so wie Abdulrahman Dilipak, Kolumnist bei der Zeitung "Akit": "Nicht nur vier Generäle, sondern auch die anderen müssen zurücktreten, bis zu 50 Prozent des Offizierskorps. Was machen sie dort noch?" Denn entweder, so sagt er, wussten sie nichts von den Putschbemühungen im Militär, oder aber sie wussten es und duldeten es. In beiden Fällen müssten sie gehen.

Adnan Tonguc, ein Literatur-Übersetzer, der sich selbst als linksliberal bezeichnet, bleibt optimistisch, dass die Entwicklung ein weiterer Schritt hin zu mehr Demokratie ist. Es stimme zwar, dass Erdogan an einer Festigung seiner Macht arbeite, sagt er. Aber die Militärs und ihr System der politischen Bevormundung "waren faschistisch, das muss weg. Wenn Erdogan dann selbst ein autokratisches System aufbaut, werden die Wähler dagegen reagieren und die Demokratie wieder einen Schritt weiterbringen."