Das Militär versteht sich als Hüter des säkularen Erbes von Staatsgründer Kemal Atatürk und hat bereits mehrfach Regierungen gestürzt.

Istanbul. In der Türkei kommt es zu einer neuen Machtprobe zwischen dem Militär und Ministerpräsident Tayyip Erdogan. Die vier ranghöchsten Befehlshaber der zweitgrößten Streitkräfte der Nato traten am Freitagabend geschlossen zurück. Sie protestierten damit gegen die Inhaftierung von 250 Offizieren, denen Verschwörung gegen Erdogans Regierung vorgeworfen wird. Generalstabschef Isik Kosaner war erst vor einem Jahr auf seinen Posten berufen woren. Er äußerte nun in einer Abschiedserklärung an die „Waffenbrüder“, ihm sei es nicht länger möglich, im Amt zu bleiben. Denn er sei nicht imstande, die Rechte jener Männer zu verteidigen, die als Folge eines fehlerhaften Rechtsverfahrens inhaftiert seien. Außer Kosaner räumten auch die Befehlshaber von Armee, Marine und Luftwaffe ihre Posten, wie Erdogans Büro mitteilte. Die Gründe nannte es allerdings nicht.

Das mächtige türkische Militär versteht sich als Hüter des säkularen Erbes von Staatsgründer Kemal Atatürk. Es hat in den vergangenen 50 Jahren mehrfach Regierungen gestürzt. Erdogan setzte mit einer Reihe von Reformen dieser Dominanz ein Ende. Ziel war unter anderem, damit die Chancen für einen Beitritt zur Europäischen Union zu verbessern. Die Beziehungen des Militärs zu Erdogans islamisch geprägter konservativer Partei AKP sind seit deren erstem Wahlsieg im Jahr 2002 angespannt. Bei der Parlamentswahl im Juni hatte die AKP ein drittes Mal gewonnen und sich 50 Prozent der Stimmen gesichert.

Die Zurückstellung der Generäle wurde eklatant, als die Polizei im vergangenen Jahr damit begann, reihenweise Offiziere festzunehmen. Ihnen wurde vorgeworfen, 2003 in einem Militärseminar unter dem Schlagwort „Operation Vorschlaghammer„ einen Staatsstreich gegen Erdogans Regierung durchgesprochen zu haben. Die Angeklagten wiesen die Belastungsbeweise gegen sie als konstruiert zurück. Ihrer Darstellung nach handelte es sich lediglich um militärische Planspiele.

Mittlerweile befinden sich mehr als 40 aktive Generäle in Haft, fast ein Zehntel der türkischen Befehlshaber. Medienberichten zufolge beantragte am Freitag ein Staatsanwalt, der einem weiteren angeblichen Komplott auf der Spur ist, die Festnahme von 22 Beschuldigten, darunter ein hochrangiger Befehlshaber.

Am Montag tagt turnusgemäß der Oberste Militärrat, der zwei Mal im Jahr zusammenkommt, um wichtige Personalentscheidungen zu fällen. Das Treffen soll wie geplant über die Bühne gehen, wie Erdogans Büro ankündigte. Offenbar will der Ministerpräsident die plötzlich vakant gewordenen Schlüsselposten rasch neu besetzen. Analysten zufolge hat er nun die Chance, an der Militärspitze Offiziere zu installieren, die seiner Partei mehr gewogen sind.

(Reporter: Simon Cameron-Moore; geschrieben von Georg Merziger)