Der norwegische Attentäter soll in seiner achtwöchigen Untersuchungshaft auf Unzurechnungsfähigkeit untersucht werden

Oslo. Die Polizei führt den mutmaßlichen Massenmörder Anders Behring Breivik durch einen Hintereingang in den Gerichtssaal 828 des "Oslo Tinghuset". Die unzähligen Journalisten bekommen den Attentäter nicht zu sehen - auf Wunsch der Osloer Polizei, die dem geltungssüchtigen Bombenbauer kein Forum bieten wollte. Genau darauf hatte sich Breivik nämlich schon gefreut. Der Beschuldigte soll sogar den Wunsch geäußert haben, in Uniform vor den Haftrichter geführt zu werden. Doch der Polizeiwagen fährt nur zügig an der Medienschar vorbei, die Fotografen schießen ihre Bilder durch das Autofenster. Den großen Auftritt wollen die Behörden auch im Gerichtssaal vermeiden. Breivik soll keine Märtyrer-Geschichten erzählen dürfen. Die Polizei fürchtet zudem, dass er in öffentlichen Äußerungen "versteckte Botschaften" an Gesinnungsgenossen unterbringen könnte.

Der 32-jährige Attentäter hatte in den Verhören am Wochenende erstmals nähere Angaben zu seinem Amoklauf gemacht. Breivik behauptete, dass er ursprünglich die frühere Ministerpräsidentin und jetzige WHO-Chefin Gro Harlem Brundtland hatte töten wollen, die eine Rede in dem Sommerlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation hielt. Das erfuhr die norwegische Zeitung "Aftenposten" in Oslo.

Brundtland hielt sich am Freitag mehrere Stunden auf der Insel Utøya auf. Die Insel gehört der norwegischen Arbeiterpartei. Doch der als Polizist verkleidete Breivik ließ sich erst nach Utøya übersetzen, als Brundtland schon abgereist war. Die Polizei erhielt die erste Meldung, dass eine Schießerei im Gange war, um 17.26 Uhr. Warum er sich verspätete, ob er keinen genauen Terminplan hatte, ist noch unklar. Breivik bezeichnete Brundtland in Internetforen als "Landsmo(r)deren", eine Abwandlung von Landesmutter zu Landesmörderin.

Der Attentäter gab im Verhör auch an, dass er weit größere Terrorpläne hatte als die erfolgten beiden Anschläge. Es soll sich um weitere zwei Bombenattentate gegen zwei zentrale Gebäude in der Hauptstadt handeln.

Bislang hat die Osloer Polizei keine anderen Namen, es wurden keine weiteren Verdächtigen festgenommen oder vernommen. Allerdings arbeitete Breivik nach eigener Aussage mit anderen Rechtsextremen zusammen. Er habe von einer Organisation gesprochen, in der es zwei weitere Zellen gebe, sagte Untersuchungsrichter Kim Heger.

In seinem Terrormanifest beschreibt Breivik sich selbst als Teil eines größeren internationalen Netzwerks mit vielen Zellen in Europa. Nach Polizeiangaben aber ist nicht ersichtlich, in welche Organisation Breivik Mitglied gewesen sein könnte. Gestern schickte Scotland Yard einen Experten nach Oslo, der die Spurensicherung kriminaltechnisch unterstützen soll. In seinem Manifest beschreibt Breivik auch, dass er eine Minikamera getestet habe. Ob er seine Angriffe gefilmt hat, wollte die Polizei nicht kommentieren.

Um 15.30 Uhr, nach langem Warten vor dem Gerichtsgebäude, wurde Norwegens Staatsfeind Nummer eins im gepanzerten Polizei-Geländewagen wieder ins Gefängnis im Stadtteil Grønland gefahren. Der Untersuchungsrichter erklärte anschließend die vorläufigen Anklagepunkte: "Anders Behring Breivik wurde am 22. Juli 2011 festgenommen und des Verstoßes gegen die Terrorgesetze beschuldigt", sagte er. Die Staatsanwaltschaft habe eine Untersuchungshaft von acht Wochen mit Brief- und Besuchsverbot beantragt, dazu eine volle Isolation über vier Wochen. Das Gericht bewilligte den Antrag samt allen Auflagen. Breivik soll von zwei Experten rechtspsychiatrisch auf seine Zurechnungsfähigkeit untersucht werden.

"Breivik wird beschuldigt, vitale Funktionen der Gesellschaft beschädigt und destabilisiert und die Bevölkerung in Angst versetzt zu haben", erklärte der Richter. Der Angeklagte habe zwar seine Taten zugegeben, nicht aber seine Schuld. Das Gericht nehme daher an, dass er, wie in seinem Manifest beschrieben, "Norwegen und Westeuropa von Kulturmarxismus und einer muslimischen Übernahme retten" wollte. Das Ziel seiner Operation war nicht, so viele Menschen wie möglich zu töten, sondern ein kräftiges Signal zu geben und der Arbeiterpartei einen so großen Verlust zuzufügen, dass es schwierig für sie werde, neue Mitglieder zu gewinnen, hieß es.

In seiner Erklärung vor den Beamten sagte Breivik, er fände es "scheußlich, was in Oslo und Utøya geschehen ist, aber es war notwendig, um den Kampf, Europa von der Unterdrückung zu befreien, fortzuführen". Als Breivik nach seiner Schuld gefragt wurde, wies er lediglich auf sein Manifest hin. Der Richter ließ Breivik ein paar Minuten reden, bevor er ihn unterbrach, schilderte sein Anwalt Geir Lippestad.

Weiter beeindrucken ließ sich der Richter von Verschwörungstheorien nicht. Die Vorgehensweise Breiviks bei seinen Angriffen zeige, dass der Beschuldigte vorsätzlich Terror verbreiten wollte. Das Gericht sehe daher keinen Grund, die Motivlage noch tiefer zu erkunden, sagte Heger.