Angela Merkel und Nicolas Sarkozy klopften schon in der Nacht vor dem Gipfel den Rettungsplan fest. Nur ob er reicht, weiß niemand.

Berlin. Gelegentlich erinnert Angela Merkel an die Mädchen, die man aus der Schulzeit kennt. Wann immer eine schwere Prüfung anstand, sagten sie schon vorher, dass man bloß nicht zu viel von ihnen erwarten solle. Am Ende standen sie meist besser da als der Rest der Klasse. Gemocht wurden solche Mädchen allerdings nur selten.

In der Welt der Erwachsenen nennt man so etwas Erwartungsmanagement. Vor dem Euro-Sondergipfel der Regierungschefs gestern in Brüssel hat sich die Kanzlerin intensiv wie selten in dieser Aufgabe geübt. Wo immer sie auftrat, versuchte sie die Erwartungen an die Zusammenkunft zu drücken. Lieber weniger versprechen und mehr halten als andersrum. Selbst ein mickriges Ergebnis lässt sich mit dieser Devise noch als Erfolg verkaufen. Oft genug hat Merkel das in der Vergangenheit bewiesen.

Zu ihrer Ehrenrettung muss man sagen, dass die Aufgabe dieses Mal alles andere als trivial war. Europa war bis Donnerstagabend tief zerstritten. Dutzende Fragen waren offen: Wie viel Geld braucht Griechenland? Wie hoch muss der Anteil der Banken, Versicherungen und Fonds am neuen Rettungspaket sein? Und vor allem, wie verhindert man, dass die Beteiligung dieser privaten Gläubiger zum GAU in der europäischen Finanzbranche führt? Hochkomplexe technische Detailfragen der Finanzbranche wurden damit zum Dreh- und Angelpunkt des neuen Rettungspakets. Denn jeder wusste, dass der Euro auf der Kippe steht, wenn dieser Rettungsversuch in die Hose geht.

Tagelang haben deshalb die Staatssekretäre der Finanzminister, die Berater der Regierungschefs, die Vertreter der Europäischen Zentralbank und Bankmanager zusammengesessen und über den Details gebrütet. Tabellen mit Zahlen wurden herumgeschickt, Vor- und Nachteile der einzelnen Lösungen erörtert. Und schließlich, als ein ganzes Tableau an Möglichkeiten auf dem Tisch lag, kam Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy nach Berlin, um mit Merkel eine Vorentscheidung über den Weg zu treffen. Wie immer bei solchen Beratungen wurde es eine lange Nacht. Dafür dürfte nicht zuletzt ein Gast gesorgt haben, der nicht auf der offiziellen Einladungsliste stand. Jean-Claude Trichet, der bislang so störrische Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), erschien kurzerhand auch. Der Mann, der bisher jede Art von Gläubigerbeteiligung ablehnte, galt in Deutschland als Eckpfeiler einer Lösung. Verweigerte er sich den Plänen, durfte jeder Versuch einer Art Schuldenentlastung für Griechenland als gescheitert gelten. Am Ende aber beugte sich Trichet der Einsicht in die Notwendigkeit. Als Merkel, Sarkozy und er das Treffen beendeten, stand ein Rettungsplan, wie ihn Europa in seiner Breite an Maßnahmen so bislang noch nicht gesehen hat: Demnach erhält Athen aus einem neuen Hilfspaket bis zu 120 Milliarden Euro. Gleichzeitig soll die Laufzeit für die Hilfskredite von 7,5 auf 15 Jahre verlängert und der Zins auf 3,5 Prozent gesenkt werden. Das soll auch für die Schuldensünder Irland und Portugal gelten. Damit nicht genug: Die privaten Gläubiger sollen auch einen Beitrag leisten. Ihnen steht es nach diesen Plänen frei, aus einer ganzen Palette an Optionen zu wählen.

Einerseits gibt es zwei Möglichkeiten, die alten Anleihen gegen neue mit 30 Jahren Laufzeit und niedrigen Zinsen zu tauschen. Modell eins sieht eine Art Versicherungslösung vor, wie sie Allianz-Vorstand Paul Achleitner vorgeschlagen hat. Im Fall eines Zahlungsausfalls der neuen Anleihen würden die Gläubiger zehn Prozent ihrer Investments verlieren, die nächsten 40 Prozent würden die EU-Staaten tragen, die restlichen 50 Prozent sollen wiederum auf die Kappe der Banken gehen. Modell zwei entspricht in weitem Teilen einem Vorschlag Frankreichs mit Garantien für die neuen Bonds aus Athen.

In beiden Fällen läge die Entlastung Griechenlands um die 20 Prozent des Anleihevolumens. Zudem soll es dem Land beziehungsweise dem augenblicklichen Euro-Rettungsfonds EFSF möglich sein, die Anleihen des krisengeschüttelten Staates am Kapitalmarkt und damit unter dem Ausgabewert zurückzukaufen. Auch das entlastet kräftig. Allerdings bergen diese Verfahren eine Menge Risiken. Europas Staatschefs fürchten vor allem, die Investoren könnten aus dieser Maßnahme die Erkenntnis ziehen, dass sie am Ende auch bei anderen EU-Staaten Geld verlieren werden. Die Folge dieser Lehre dürfte sein, dass sie ihr Kapital schlagartig aus gefährdeten Ländern abziehen.

Um diesen Ansteckungseffekt zu verhindern, soll der EFSF neue Aufgaben bekommen. Wie der Internationale Währungsfonds (IWF) darf er dem Vernehmen nach an Länder mit kurzfristigen Zahlungsschwierigkeiten künftig eine flexible Kreditlinie vergeben können - eine Art Dispo für Notfälle.

Seit Tagen waren diese Vorhaben in der Diskussion. Bis zum Mittwoch aber hatte sich die EZB allen Vorschlägen dieser Art verweigert. Noch kurz vor dem Treffen von Merkel, Sarkozy, Trichet hatte EZB-Direktoriumsmitglied Bini Smaghi in der "Welt" mit drastischen Worten vor solchen Maßnahmen gewarnt. Dass Trichet nachgab, ist vor allem zwei Versprechen geschuldet: Die Gläubigerbeteiligung gilt nur für Griechenland, nicht für Portugal und auch nicht für Irland. Und außerdem wird die EZB für alle Verluste entschädigt, die der Tausch der Anleihen in ihren eigenen Büchern verursacht. Denn die EZB hält durch ihre Rettungsaktionen selbst Milliardenbeträge an Griechen-Bonds.

Die Frage ist jetzt nur, reicht dieses Paket, das Merkel mit den beiden Franzosen und den anderen Europäern geschnürt hat, um die Krise zu beenden? Oder hat sie tatsächlich zu große Hoffnungen geweckt? Keiner wird diese Fragen heute eindeutig beantworten können. Klar ist nur, die Entlastung Griechenlands durch den Schuldenschnitt ist deutlich kleiner, als viele Wirtschaftswissenschaftler gefordert hatten. Athen hat also nach dieser Maßnahme weiterhin viel höhere Schulden, als es gemessen an seiner Wirtschaftskraft tragen kann. Außerdem geht Europa den Weg in die Transferunion weiter. Die neuen Aufgaben des EFSF führen dazu, dass die starken Geberländer im Notfall noch mehr für die schwachen Partner tun müssen. Zudem garantieren sie die Rückzahlung der neuen Schulden Griechenlands in einem wesentlichen Teil. Ohne diesen Schritt wäre die Euro-Zone aber kaum zu retten.

Eines jedoch steht mit diesem zweiten, noch größeren Rettungspaket fest: Merkel und Sarkozy kaufen Europa Zeit, ohne Griechenland den Neuanfang zu ermöglichen. Wie bisher werden die Europäer alle drei Monate darüber streiten, ob das Land die nächsten Zahlungen aus dem Hilfspaket verdient hat. Und wie bisher werden Investoren fürchten, dass der große Schuldenschnitt doch noch kommt.