Der wegen der Murdoch-Affäre zurückgetretene Londoner Polizeichef Paul Stephenson fordert: Auch Premier David Cameron muss gehen.

London. Was als Abhörskandal um die Boulevard-Sonntagszeitung "News of the World" begann, mündet jetzt in eine britische institutionelle Krise, die jetzt auch eine namhafte Adresse, die Metropolitan Police of London, besser bekannt als Scotland Yard, in Mitleidenschaft zieht. Jedenfalls hielt es der Leiter der "Met", Sir Paul Stephenson, Englands Oberster Polizeibeamter, am Sonntagabend für geboten, seinen Hut zu nehmen und Verantwortung für Missstände zu übernehmen, die unter seiner Leitung in den Polizeidienst Londons eingezogen waren, darunter vor allem eine zu große Nachlässigkeit im Verfolgen illegaler Praktiken von Journalisten der "News of the World".

Gestern folgte Stephensons Stellvertreter John Yates. Auch er nahm seinen Hut. Stephenson persönlich, aber auch seine Behörde sehen sich massiven Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Yates hatte 2009 die Ermittlungen in dem Abhörskandal nicht wieder aufgenommen, obwohl die Zeitungen nicht nur in Großbritannien mit neuen Vorwürfen rappelvoll waren.

Das Blatt "News of the World" gehört zum britischen Arm von Rupert Murdochs globalem Medien-Imperium, zu "News International" (NI), und hatte es im Laufe der Jahre verstanden, sich höchst effizient das politische Establishment und, wie sich herausstellt, auch die Polizei gefügig zu machen.

Am Sonntag nahm die Polizei obendrein die NI-Geschäftsführerin Rebekah Brooks, 43, in Gewahrsam, verhörte sie zwölf Stunden lang, um sie gegen Kaution auf freien Fuß zu setzen. Mit Mrs Brooks, die früher die "News of the World" sowie die "Sun" als Chefredakteurin geleitet hatte, erhöht sich die Zahl der im Zusammenhang mit der Abhöraffäre seit April temporär in Untersuchungshaft genommenen Personen auf zehn.

Gestern Abend wurde zudem bekannt, dass ein ehemaliger Reporter der "News of the World" tot in seiner Wohnung gefunden wurde. Sean Hoare hatte den früheren Regierungssprecher Andy Coulson belastet. Der "New York Times" hatte Hoare gesagt, er sei von Coulson - damals Chefredakteur der Zeitung - zum Abhören von Mailboxen angestiftet worden.

Der Tod des Mannes sei ungeklärt, teilte die für Hoares Wohnort zuständige Polizeibehörde mit. Ein Verdacht auf eine Gewalttat bestehe jedoch nicht.

Durch die sich zuspitzende Lage in London sah sich Premierminister David Cameron gezwungen, seine Reise ins südliche Afrika, zu der er am Sonntagabend aufbrach, von geplanten fünf Tagen auf zwei zu verknappen. Auch er gerät zunehmend unter Druck.

So trat Sir Paul Stephenson nun zurück - und wollte nicht gehen, ohne in seinem Abschiedsstatement noch einmal kräftig zu holzen. Vor allem gegen Premier Cameron. "Wenn ich gehen muss, dann musst du eigentlich erst recht gehen." Stephenson, der angeblich von Cameron, aber auch von Londons Bürgermeister Boris Johnson zum Rücktritt gedrängt worden sein soll, spielte auf Camerons enges Verhältnis zu dessen früheren Regierungssprecher Coulson an. Cameron stellte den ehemaligen "News of the World"-Chefredakteur ein, obwohl dieser bereits 2007 wegen des Abhörskandals zurücktreten musste. "Zweite Chance", nannte Cameron das. Im Januar musste Cameron seinen Spindoktor fallen lassen, als die Affäre zu heiß wurde.

Auch Stephenson hatte sich mit Coulsons Stellvertreter Neil Wallis einen Top-Journalisten des Murdoch-Blatts als Berater an die Seite geholt. Der Polizeichef stürzte nun über das enge Verhältnis zu Wallis - obwohl dieser im Gegensatz zu Coulson damals noch nicht mit dem Abhörskandal in Verbindung gebracht worden war. "Sir Paul hat die Konsequenzen gezogen, Cameron noch nicht", sagte Labour-Chef Ed Miliband gestern voller Genuss.

Miliband ging voll in die moralische Offensive und wetterte gegen das Regime der "Unantastbaren" in der Gesellschaft - die Bankenkrise, der Spesenskandal im Unterhaus und die Causa Murdoch hätten gemeinsam, dass sie nur gedeihen konnten in einer "Kultur der Unverantwortlichkeit".

Und Cameron? Dessen Büro versuchte sich noch zuvor in vorauseilender Offenheit und gab an, wie oft der Premier in den letzten 15 Monaten sich mit Spitzenleuten vom "News International" getroffen habe: 26-mal. Das Eingeständnis, freiwillig vor möglichen Ernthüllungen auf den Tisch gelegt, bestätigt Kritiker nur weiter darin, dass der Premier mangelnde Distanz zum Murdoch-Imperium gehalten habe, seine Urteilskraft also viel zu wünschen übrig lasse. Die Opposition will jetzt wissen, ob es dabei auch um das milliardenschwere Geschäft zur Komplettübernahme des Senders BSkyB gegangen ist. Murdoch musste den Deal inzwischen aufgeben. Der Medienmogul meint, sein Unternehmen habe die Krise "extrem gut gehandhabt", und es seien noch keine Schäden entstanden, "die nicht repariert werden könnten". Er selbst muss heute vor einem Parlamentsausschuss in London aussagen. Der Börsenwert der News Corp ist seit dem Hochkochen des Skandals um sechs Milliarden Dollar geschmolzen.