Obama empfängt den Dalai Lama, Oberhaupt der Tibeter. Trotz Protesten ist Peking aber an stabilen Beziehungen zu den USA interessiert

Peking. Es war wie der Auftakt zu einem neuen Drama in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen: Vizeaußenminister Cui Tiankai bestellte um Mitternacht, in den ersten Minuten des Sonntags, Robert Wang, den Geschäftsträger der US-Botschaft, ins Außenministerium ein. Dort machte er ihm heftige Vorhaltungen, weil sich der amerikanische Präsident im fernen Washington mit dem exilierten geistlichen Oberhaupt der Tibeter traf. Der Termin zu nachtschlafender Zeit war indes weniger Schikane als eine Reaktion auf die gleichzeitig in einer anderen Zeitzone vor sich gehende Begegnung Obamas und des Dalai Lama. Bewusst fand sie nicht im amtlichen Oval Office des Weißen Hauses statt, sondern im Kartenraum, dem für protokollarische Begegnungen gedachten Empfangssaal. Fernsehkameras und Journalisten waren nicht zugelassen.

Trotz solcher beschwichtigender Gesten bekamen die USA von Peking die vier bekannten stereotypen Vorwürfe zu hören: Sie mischten sich mit dem Dalai-Lama-Treffen "grob in Chinas innere Angelegenheiten ein", verletzten die "Gefühle des chinesischen Volkes", unterminierten dessen Kerninteressen und beschädigten die beiderseitigen Beziehungen. Der Dalai Lama lebt in Indien, seit Chinas Volksbefreiungsarmee 1959 einen Aufstand der Tibeter blutig niederschlug, und bis heute bekämpft ihn Peking als angeblichen Vorkämpfer für eine Loslösung Tibets.

Chinas Propaganda versuchte noch am Sonnabend, mit einer besonderen Botschaft Obama von dem Treffen abzubringen. Alle Tageszeitungen erschienen mit Titelseiten, die Staatschef Hu Jintao zeigten, wie er US-Studenten und ihre Lehrer aus Chicago persönlich auf Besichtigungstour durch seinen Partei- und Regierungssitz Zhong Nanhai führte. Die Botschaft sollte wohl lauten: "Unsere Beziehungen sind gerade so gut. Setzt sie nicht aufs Spiel." Die Schüler, von denen einige nach den Zeitungsberichten Hu Jintao gar als "Großvater Hu" adressierten, seien die Vorhut für 100 000 Studenten aus Amerika, die bis 2015 nach China kommen sollen. Beim Washington-Besuch Hus im Januar hatten beide Staaten den umfangreichsten Jugendaustausch vereinbart, den China bislang mit dem Ausland einging. Auch die Besuchsdiplomatie soll intensiviert werden: Vergangene Woche feierte Peking die "erfolgreiche" China-Visite des höchsten US-Militärs, Generalstabschef Mike Mullen. Am 25. Juli wollen sich Außenministerin Hillary Clinton und Parteiaußenpolitiker Dai Bingguo treffen, Besuche von Vizepräsident Joseph Biden in China und Vizestaatschef Xi Jinping in den USA sollen folgen.

Pekings Wut über das 44 Minuten dauernde Treffen Obamas mit dem Dalai Lama kommt daher nur gebremst zum Vorschein und mit einem Wink, rasch zur Tagesordnung überzugehen. Das Außenministerium verlangte, dass die USA "sofort Maßnahmen ergreifen, um die Folgen dieses Treffens wieder ungeschehen zu machen". Obama und der Dalai Lama hatten ohnehin schon die Brisanz ihrer Zusammenkunft heruntergespielt. Beide bekräftigten vor allem den symbolischen Wert. Nach Mitteilung des Weißen Hauses unterstützt Obama "die Bewahrung der einmaligen religiösen, kulturellen und sprachlichen Traditionen Tibets und der Tibeter weltweit". Die USA setzten sich für den Dialog Pekings mit dem Dalai Lama ein, gerade weil der eben keine Unabhängigkeit Tibets anstrebe. Der 76-Jährige, der sich nun für zehn Tage in den USA aufhält, nannte sein Gespräch mit Obama eine "spirituelle Begegnung." Er begrüße es, dass Obama sich für die Verbesserung der Menschenrechtslage in Tibet einsetzt. "Natürlich zeigt er echte Sorge über das Leiden in Tibet."

60 Jahre nach dem Einmarsch der Volksbefreiungsarmee 1951 in Tibets Hauptstadt Lhasa und dem 17-Punkte-Anschlusspakt steht Chinas Tibet-Politik weltweit wieder in der Kritik. Menschenrechtsorganisationen wie die International Campaign for Tibet werfen Peking eine "enorme Repressionswelle" vor. Auch tibetische Regionen in den Anrainerprovinzen wie jüngst das Kloster Kirti in der an Tibet grenzenden Provinz Sichuan werden massiv unterdrückt. China erlaubt Pekinger Korrespondenten nicht, die Vorwürfe vor Ort zu überprüfen. Selbst für ausländische Touristen wurde die Region im Vorfeld der 60-Jahr-Feiern gesperrt. Chinas Propaganda, die gestern Bilder und Berichte über das "glückliche Tibet" veröffentlichte, verstärkt noch die Zweifel. Zur 60-Jahr-Feier flog der Vizestaatspräsident und designierte nächste Parteichef Chinas, Xi Jinping, als Leiter einer Großdelegation nach Lhasa. Fernsehbilder zeigten, wie ihn 600 tibetische Tänzer am Flughafen begrüßten. Bei der Fahrt in die Stadt säumten Tausende Jubelnde die Straßen.

Zum Dalai-Lama-Treffen mit Obama druckten chinesische Zeitungen keine Kommentare oder Analysen. Viel aufmerksamer verfolgen sie dagegen den Kampf des Präsidenten um die Dollar-Stabilität. Große Wirtschaftszeitungen warnten vor den Folgen auch für China, falls sich die USA technisch zahlungsunfähig erklären müssten. China hat von seinen Devisenreserven in Höhe von 3300 Milliarden Dollar im April allein ein Drittel - also etwa 1152 Milliarden - in US-Staatsanleihen angelegt. Peking sitze deshalb nicht etwa am längeren Hebel, warnt das "China Business Journal". Wenn die USA zahlungsunfähig werden sollten, "sind wir und die Japaner die größten Verlierer".