Großbritanniens Premier reagiert mit harten Worten auf die Abhöraffäre. Drama um Murdoch-Zeitung bedroht auch seine eigene Zukunft.

London. Unter dem Druck der Öffentlichkeit hat der britische Premierminister David Cameron schwere Versäumnisse in der Medienpolitik des Landes eingeräumt. Die kriminellen Machenschaften bei der vom Murdoch-Medienkonzern mittlerweile eingestellten Sonntagszeitung "News of the World" (NoW) stellen "einen Weckruf an Politik, Gesellschaft und Medien" dar, sagte der Regierungschef in der Downing Street. Wenig später nahm die Kriminalpolizei Camerons früheren Regierungssprecher Andy Coulson fest. Der 43-Jährige soll in seiner Zeit als Chefredakteur des Blattes das illegale Abhören von Mobiltelefonen und Zahlungen an korrupte Polizisten verantwortet haben. Zudem könnte er vor dem schottischen High Court, also einem höheren Gerichtshof, einen Meineid geschworen haben.

Politik und Medien, aber auch Polizei und Medien seien einander "zu nahe gekommen", sagte der Premierminister und kündigte zwei unabhängige Untersuchungen an. Unter Vorsitz eines Richters soll eine Kommission der Frage nachgehen, warum Scotland Yard eine Aufklärung der üblen Machenschaften im mächtigen Medienkonzern jahrelang verschleppt hatte. Ein zweites Gremium soll neue Regeln für ethischen Journalismus vorschlagen. Die bestehende Kommission für Pressebeschwerden, die Press Complaints Commission oder PCC, habe sich als zahnlos herausgestellt. "Sie muss ersetzt werden", sagte Cameron. Weiterhin solle es aber bei der Selbstkontrolle der Medien bleiben. "Dies ist nicht Aufgabe der Politik", erklärte der Premier.

Wie alle seine Vorgänger aller Parteien seit der eisernen Lady Margaret Thatcher, die von 1979 bis 1990 regierte, hatte Cameron eifrig um die Gunst des US-australischen Medienzaren Rupert Murdoch geworben. Dessen britische Tochterfirma News International (NI) kontrolliert knapp 40 Prozent der Auflage aller überregionalen Zeitungen des Landes. Cameron ist mit der NI-Geschäftsführerin Rebekah Brooks persönlich befreundet; beide besitzen in der Grafschaft Oxfordshire ein Landhaus und gehen gelegentlich zusammen reiten. Erstmals distanzierte sich der Politiker nun deutlich von seiner Nachbarin: Brooks habe seinen Informationen nach dem Konzernchef in den letzten Tagen zweimal ihren Rücktritt angeboten. "Den hätte ich angenommen", sagte Cameron.

Die Affäre um das Revolverblatt mit der 2,7-Millionen-Auflage schwelt seit 2007, als der frühere Royal-Reporter Clive Goodman sowie ein Privatdetektiv zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, weil sie die Telefone der Prinzen William und Harry geknackt hatten. Damals trat Coulson, der Nachfolger von Brooks im Amt als "NoW"-Chefredakteur, zurück, beteuerte aber stets, er habe "von nichts gewusst".

Der damalige Oppositionsführer Cameron sicherte sich Coulsons Dienste und nahm ihn im vergangenen Jahr auch in die Downing Street mit. "Ich wollte ihm eine zweite Chance geben", versicherte der Konservative mehrfach und fast klang es, als bitte er nun die Wählerschaft um eine zweite Chance.

Trotz immer neuer Schlagzeilen und mehrerer Festnahmen hochrangiger früherer "NoW"-Redakteure war die Affäre erst dieser Tage wirklich ans Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt. Ein Bericht des "Guardian" legte offen: Die "NoW"-Leute hatten nicht nur 4000 Politiker und Prominente bespitzelt. Zu den Zielpersonen gehörten auch Verbrechensopfer und Angehörige von in Afghanistan gefallenen Soldaten. Die Mailbox eines vermissten Mädchens hatte der Privatdetektiv nicht nur abgehört, sondern auch Nachrichten gelöscht. Dadurch glaubten Eltern und Kripo, die 13-Jährige sei noch am Leben; in Wirklichkeit war Milly Dowler missbraucht und ermordet worden.

Auf sie bezog sich ausdrücklich Oppositionsführer Edward Miliband in seiner erneuten Kritik an Cameron. "Der Premierminister kapiert 's nicht", sagte der Labour-Chef der BBC. "Er sollte sich entschuldigen für seinen katastrophalen Fehler, Coulson zu beschäftigen. Und er muss das Genehmigungsverfahren für BSkyB anhalten." An dem erfolgreichen Satellitensender gehören Murdochs Tochterfirma NI bisher 39 Prozent, nun will man sämtliche Anteile erwerben. Gegen das Vorhaben gingen bis Ablauf der Frist am Freitagmittag beim zuständigen Kulturminister mehr als 156 000 Einwände ein. Offen fordern nun auch einflussreiche Politiker der konservativ-liberalen Koalition, die Regierung dürfe den ohnehin mächtigen Murdoch-Konzern nicht noch weiter stärken. Dessen Entscheidung, das 168 Jahre alte Blatt "an diesem Sonntag zum letzten Mal erscheinen" zu lassen, so Murdoch-Sohn James, wird in London höchst misstrauisch bewertet. Kritiker des "Dreckwühlers", wie Rupert Murdoch in England abschätzig genannt wird, fragen hartnäckig, warum 200 Journalisten entlassen werden, NI-Chefin Brooks aber im Amt bleiben darf. Erst vor wenigen Tagen hatte die 43-Jährige die Belegschaft auf bevorstehende Einsparungen hingewiesen und dabei auch die Möglichkeit erwähnt, dass verwandte Zeitungstitel zusammengelegt werden könnten. "Die Schließung ist ein Werbegag des Managements", glaubt der frühere Labour-Vizepremier John Prescott. "Das Blatt kommt bestimmt bald als ,Sunday Sun' auf den Markt." Die Tageszeitung "The Sun" war von den schweren Vorwürfen gegen NI bisher nicht betroffen.