US-General Petraeus fürchtet in Afghanistan um die Erfolge der vergangenen Jahre im Kampf gegen die Taliban

Hamburg. Im November 1986 rief der damalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow das Politbüro in Moskau zusammen und legte den Mitgliedern des mächtigen Gremiums dar, dass der Krieg in Afghanistan unter besonderer Berücksichtigung der desolaten sowjetischen Lage nicht mehr zu gewinnen sei. Man müsse ihn daher so schnell wie möglich beenden.

An diese Episode erinnerte jetzt das US-Magazin Time anlässlich der Ankündigung von US-Präsident Barack Obama, bis zum Sommer kommenden Jahres 33 000 US-Soldaten - ein Drittel der Truppen am Hindukusch also - in die Heimat zurückzuholen. Der sowjetische Rückzug vom Hindukusch sei ein Eingeständnis der Niederlage gewesen - und zugleich Anzeichen dafür, dass die sowjetische Ära zu Ende ging.

Die mutige, wenn auch nicht unproblematische historische Parallele, die das führende US-Nachrichtenmagazin zog, zielt auf den Umstand, dass Amerikas Macht zumindest im Verhältnis zu anderen globalen Zentren wie China, Indien oder der EU schrumpft. Und dass sich die USA diesen längsten Krieg ihrer Geschichte gar nicht mehr leisten können - auch angesichts der verheerenden Wirtschaftskrise und gravierender infrastruktureller Mängel im eigenen Lande.

"Amerika - es ist Zeit, dass wir uns auf unseren Staatsaufbau zu Hause konzentrieren", rief Obama in seiner Fernsehansprache den US-Bürgern zu. Bis Ende dieses Jahres sollen 10 000 Soldaten abgezogen werden, bis Ende 2012 sollen weitere 23 000 folgen. Rund 68 000 US-Militärangehörige würden dann noch weiter Dienst am Hindukusch tun; allerdings wollen die USA und die Nato 2014 die Sicherheit in die Hände der Afghanen legen.

Mit der angekündigten Truppenreduzierung wird der Präsident genau jene Zahl an Soldaten wieder zurückziehen, die er erst 2009 auf eindringlichen Rat seines führenden Generals David Petraeus zusätzlich nach Afghanistan entsandt hatte. Petraeus, der den Oberbefehl über die Afghanistan-Truppe abgibt, um neuer Chef des US-Geheimdienstes CIA zu werden, ist, wie andere US-Kommandeure auch, gänzlich gegen diesen Schritt. Das Militär befürchtet, dass die Erfolge der letzten Monate dadurch preisgegeben würden.

Die Aufstockung von 2009, der "Surge", hatte die US-Truppen in die Lage versetzt, die Taliban aus mehreren afghanischen Provinzen zu vertreiben und dem Terrornetzwerk al-Qaida schwere Schläge zu versetzen. Doch wo immer die Amerikaner sich nach gewonnener Schlacht zurückziehen, sickern die Taliban wieder ein und übernehmen die Macht in den Dörfern. Zudem geht der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte nur schleppend voran; viele der Soldaten und Polizisten laufen zum Gegner über oder paktieren mit den Taliban. Längst haben die USA begonnen, selber mit den Taliban zu verhandeln; doch sind die Gespräche festgefahren. Die Islamisten wissen, dass sie am längeren Hebel sitzen.

Mindestens eine Billion Dollar haben die Missionen im Irak und in Afghanistan die USA bislang gekostet, am Ende dieser Engagements könnte es das Doppelte werden. Mindestens 5600 US-Soldaten sind bislang auf den beiden Schauplätzen gefallen. Derzeit kostet der Afghanistan-Krieg rund 120 Milliarden Dollar pro Jahr. Nach einer CNN-Umfrage fordern drei Viertel der Amerikaner, dass sich die USA vom Hindukusch zurückziehen.

Der nun angekündigte Rückzug ist eine schwere Niederlage für General Petraeus und ein Sieg für US-Vizepräsident Joe Biden, der Obama seit Langem mit der Forderung im Ohr liegt, die amerikanischen Truppen nach Hause zu holen. Obamas Entscheidung soll, wie die "New York Times" schrieb, eine "wütende interne Debatte" in der US-Regierung vorangegangen sein. Auch Außenministerin Hillary Clinton soll gegen einen raschen Rückzug gewesen sein. Zwar kritisieren vor allem viele Republikaner wie Obamas alter Rivale, Senator John McCain, den Rückzug. Der republikanische Kongressabgeordnete Walter Jones aus North Carolina hatte jedoch kürzlich gesagt, viele seiner Parteikollegen forderten in privaten Gesprächen ein Ende des Krieges - und das sollten sie nun auch öffentlich tun. "Wir sollten einfach unseren Sieg verkünden und abziehen", meinte Jones jetzt. Drastischer begründete der demokratische Abgeordnete Barney Frank aus Massachusetts seine Forderung nach einem Ende der US-Mission am Hindukusch: "Wir können nicht jedes Rattenloch auf der Welt stopfen."